Noch 8 Monate Freiheit

Warum dieses Land eine Elite braucht (07.08.2006)

"Seit November 2005 werden in Deutschland elektronische Reisepässe ausgegeben. Deutschland ist damit eines der ersten EU-Länder, das die Vorgaben einer EG-Verordnung umsetzt. Im ePass sind sogenannte biometrische Daten in einem Chip gespeichert: zunächst das digitale Passfoto, ab März 2007 sollen zusätzlich die Fingerabdrücke digital erfasst werden.

Mit dem ePass wird ein Höchststand an Fälschungssicherheit erreicht. Auch die Sicherheit vor dem Missbrauch echter Pässe durch andere Personen als den eigentlichen Passinhaber wird erhöht: Der Chip erlaubt eine elektronische Überprüfung, ob der Nutzer des Dokuments tatsächlich der Passinhaber ist."

Diese Erklärung ziert nach wie vor die Informationsseite des Bundesministeriums des Innern und trotzt damit vehement den Meldungen um das Kleinord ePass: RFID-Chip geklont; Gültigkeit des Passes auch bei beschädigtem Chip; Kontrolllosigkeit von Datenspeicherung, etc. Betrachtet man derartige Nachrichten, fügt die Ängste von DatenschützerInnen ebenso wie die Witze der InformationstechnikerInnen jeglicher Façon hinzu und schließt letztendlich mit dem warnendem Bericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ab, muss es einem kalt den Rücken runterlaufen, insbesondere wenn man in aller Eile den Pass hervorholt und feststellen muss, dass besagter genau zur Einführung der zusätzlichen Komponente biometrischer Daten, dem Abnehmen der Fingerabdrücke, ungültig wird. Ab März 2007 freut sich dann nicht nur die Industrie für biometrische Elektronik, sondern auch der kaum spektakuläre Bereich von Stempelkissen und -farbproduzenten.

Doch zurück zum eigentlichen Thema, fernab von Wirtschaftssubventionierung auch auf Kosten (ehemaliger) Freiheitsrechte, zur Einführung des elektronischen Reisepasses. Alles, aber wirklich alles findet sich in einer Rede des Ex-Bundesinnenministers, hier findet sich Sicherheit mit Wirtschaft zusammen, nur die bürgerlichen Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung nicht und auch keine Rechtsphilosophie. Was für die eine bloß ein Finger und damit Körpermerkmal ist, ist für den anderen die ganze Welt. Analysiert man die Lebensläufe unserer VolksvertreterInnen, drängt sich einem die Frage auf, was, neben offensichtlicher Parteienklüngelei und -oligarchie alter Herren -- inzwischen auch Damen --, die sich ebenfalls immer mehr dem alten Politbüro annähern, zuerst da war: die kongeniale Idee unseres ehemaligen Bundesinnenministers oder das mit Gutachten versehene technische Pamphlet einer entsprechenden Lobby. Wir wollen ja nicht gleich soweit gehen und dem corpus delicti Intelligenz unterstellen, doch ist anzunehmen, dass eine gewisse Aufnahmebereitschaft vorhanden gewesen sein muss, sicherlich auch katalysiert durch blutige Ereignisse in einer großen Städt jenseits des Atlantiks.

Eines ist definitiv: das neue Dokument ging einher mit den Gesetzen der Terrorismusbekämpfung und wurde eben nicht eingeführt aufgrund technischer Möglichkeiten, die inzwischen zur Verfügung stehen, auch wenn die Rechtfertigung Richtung EU geht. Wäre dies der Fall, dann hätte das Innenministerium das Gutachten des BSI berücksichtigen müssen.

Sicherheit war Ausschlag und Anlass dieses mitleidigen Verfahrens, doch weil wie überall politische Entscheidungen aus Karrieregesichtspunkten und unter dem Anhang komplexitätsreduzierender Interessengruppenarbeit (Lobbyismus) gefällt werden, musste der ePass natürlich unbedingt so schnell wie möglich eingeführt werden, ungefähr so wie wenn ein große Firma für Betriebssysteme und -programme ein Produkt auf dem Markt bringt, wofür jahrelange Anpassungen obligatorisch sind (Upgrades, die Sicherheitslücken schließen sollen).

Jedem/r halbwegs Gebildeten dürfte eine solche Vorgehensweise in Anbetracht der legitimatorischen Argumentation zum Weinen, allenfalls zum Lachen bringen. Und das ist ja auch der Punkt dialektischer Verständnislosigkeit: warum sollte der Durchschnittsbürger, gemeinhin Deutscher, in seiner Intelligibilität den Politiker (da oben) übertreffen? Täte er dies, müsste er doch schon längst registriert haben, dass er stets die selben Leute wählt bzw. durch die Listen der Parteien immer die selben personae an die Macht gelangen (wohlgemerkt in die Position, irgendetwas zu unterschreiben, mehr ist das ja nicht, das Regieren heutzutage).

Welche Konsequenzen dies auf unser Demokratieverständnis hat, soll jetzt mal dahingestellt bleiben.

Es dürfte eine vorhersagbare Tatsache sein, dass sich der Gewöhnliche nicht gegen die Abnahme seiner Fingerabdrücke wehren wird. Es ist ja eine Notwendigkeit, die für sich spricht und braucht als solche nicht begründet zu werden, anders forumliert: er macht (ja nur), was man ihm sagt. Das gabs schonmal und hat immerhin 12 Jahre funktioniert. Wer meint, historische Analogien seien hier unangebracht, dessen Verstand leidet wahrscheinlich bereits an den Spätfolgen unerbitterlicher Intelligenzdiät, denn deren Aktualität sich nährt durch die veranschlagte Systemkonformität: nichts passt besser als Autorität und Kapitalismus.

Mindestens zwei Fragen zerren die ePass-Ideologie in ein anderes Licht: (1) Sind sich denn die Kritiker der biometrischen Sicherheits- und Datensysteme nicht der Terroriusmusgefahr bewusst, dass sie eine generelle bzw. übereilte, weil unausgereifte Einführung ablehnen? (2) Ist Deutschland überhaupt ein für Terroristen interessantes Gebiet und wenn, warum? Natürlich hängen beide Fragen miteinander zusammen, jedenfalls kann mit der Beantwortung zweiterer die erste vorweggenommen werden.

Terroristen sind von einer Obrigkeit erklärte Staatsfeinde, d.h. sie bekämpfen eine Ordnung oder System und sind demnach im Selbstverständnis (Freiheits)Kämpfer mit Glauben an ihre Sache (die oft auch die Sache anderer ist). Mit der Postulierung eines internationalen Terrorismus ist aber noch lange nichts bewiesen. Schließlich sind die Deutschen seit 1946 zu allen Völkern nett und freundlich, unterhalten zahlreiche Wirtschaftskontakte (auch im zur Zeit ungeliebten Iran) und überhaupt stellen Geschichte und Geld die Deutschen vielerort in ein gutes Licht. Gerade deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass der gemeine Araber von Marokko bis zum Sudan die US-Amerikaner hasst, die Deutschen aber liebt (wenn nicht bejubelt) -- wohlgemerkt ist Händeschütteln auf dem sogenannten internationalen Parkett (eigentlich Beton) nicht unbedingt repräsentativ für das Verhalten der Regierungen und mithin der ihnen anvertrauten Massen.

Man sollte es ruhig beim Namen nennen: hiesiger Sicherheitswahn und Terroristenaufspürerei dienen lediglich dazu, Deutschland als Transitland sauber zu halten (auf dem Wege nach den Vereinigten Staaten). Beweise jedenfalls für ein gezieltes in-Schutt-und-Asche-legen unserer Heimat finden sich nirgends, somit ist es eine Farce, erkämpfte bürgerliche Freiheiten für ein paar (zu recht) verängstigte Menschen über den Haufen zu werfen, welche der Welt mehr Schaden als nützen und dabei das Gegenteil behaupten, ohne es zugleich buchstabieren zu können. Unsere sogenannten Volksvertreter tun alles, dass die Intelligenz das Land verläßt, in personae als auch in Form allgemeiner Aufklärung, und legt damit den Grundstein weiterer Verdummung, übermantelt mit zum Lebenstil erhobenen Konsumcharakter, was schließlich dem perversen Fortgang populistischer unprofessioneller Politiken, die man durchaus als neoliberal bezeichnen darf, jeglichen Widerstand raubt.

Es gehört zur Systematik, dass die politischen Parteien entsprechende Leute rekrutieren bzw. diese im Laufe des Aufstiegs in den Kader denkmäßig assimilert werden, deshalb gibt es keine WissenschaftlerInnen in der Politik (wissenschaftliche Berater sind keine Wissenschaftler!). An dieser Stelle soll nicht auf die weitverzweigte und auch unpassende Diskussion um Elite eingegangen werden. In unserem Falle kann es nur zwei Formen politischer Elite geben: den parteipolitischen Kader, die Funktionäre, also interessengruppengebundene Politker -- oder eine technokratische Führung, Denker und Wissenschaftler. Das zweite in Reinform ist unbestreibar ein Idealtypus und als solcher nicht real und sicher auch nicht erstrebenswert.

Eine auf Macht fokussierte Elite nützt uns heute kaum, ein bisschen Intelligenz wäre aber schon wünschenswert, um nicht zu sagen notwendig, es sei denn, man wäre der Ansicht, die Probleme unserer Zeit erfordern keine besondere geistige Anstrengung und Kompetenz. Insofern möchte ich gedankenanstoßend schließen: mit Hilfe meines Personalausweises kann ich in ganz Europa (der EU) gastieren und werde mir auch ohne schweres Herz eine neue Bleibe im Ausland suchen. Auf Wiedersehen du Land der Dichter und Denker, das kein Geld mehr hat für seine Denkmäler, Schulen und Universitäten.

Sima

Dieser Artikel wurde vor dem mutmaßlichen Bombenanschlag in Köln geschrieben. Solange aber weder Motive und Hintergründe identifiziert sind, noch der Verfassungsschutz eindeutige Verdachtsmomente offenlegt, ändert dies nichts an den obigen Aussagen.

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Die Studis werden schneller, obwohl sie ihre Fahrräder sorgfältiger abstellen müssen

Wusstet Ihr schon... (22.08.2006)

...was Elite-sein im Alltag bedeutet? Wir wissen es auch nicht genau, aber für die Unispitze heißt es unter anderem: die Räder ordentlich abstellen, wenn man morgens zur Arbeit kommt -- hierzu wurden die Mitarbeiter der Univerwaltung nämlich angehalten, als eine Kommission im Rahmen der Exzellenzinitiative der Bundesregierung die Uni Heidelberg besuchte. Beim ordentlichen Aufhängen der Zettel an den Schwarzen Brettern in der Univerwaltung wurden zwar die Zettel reduziert, aber die Ordnung erhöht. Auch sonst hat Elite offenbar viel mit Äußerlichkeiten zu tun: in der ZUV wurden alle Türschilder erneuert, im IPW wurden WiHis einbestellt, um arbeitende Studierende zu simulierem. Ob´s was gebracht hat, klärt sich am Freitag, 13.10.

...was diverse Verbindungen so in Heidelberg treiben? Leider sind ihre Aktivitäten vor allem in der Altstadt nicht mehr so einfach zu übersehen, aber trotzdem werdet ihr in der Zusammenstellung des Antifa-AK unter dem Titel "Oh, Heidelberg, du Feine" noch manches Neue erfahren -- wegen reicher Illustration seid ihr allerdings erst mit viereinhalb Megabyte dabei.

...dass 1422 im Anschluss an eine Prügelei zwischen Studenten der Uni Heidelberg und Bürgern der Stadt ein "Studentenkrieg" ausbrach, in dessen Verlauf Trossknechte des Kurfürsten etliche Bursen -- die Studiwohnheime oder vielleicht eher Colleges der damaligen Zeit -- plünderten und fanden, es sei allemal besser, Pfaffen und Studenten zu erschlagen als Hussiten? Letzteres ist eine Referenz darauf, dass ein paar Jahre zuvor der Kirchenreformer Jan Hus während des Konzils von Konstanz quasi hinterrücks verbrannt worden war und Heidelberger Ordinarien beim Mord eifrig beigeholfen hatten. Der "Studentenkrieg" war dabei kein Einzelfall -- 1406 etwa hatten die Bürger die Parole "Tod den Plattenträgern, nieder mit den Langmänteln". Während damals Lehrende und Studenten gemeinsam im Fokus der Bürgerschaft gewesen waren, rief 1738 bereits der Senat selbst Militär gegen die Studenten in die Stadt, das immerhin eine Woche brauchte, um Ruhe und Ordnung zu schaffen. Das wiederum deutet schon auf eine Traditionslinie hin, die bei der martialischen Räumung des CA 1977 noch lange nicht endete.

...wer "die vakante Position eines Bundesbildungsministeriums (manche sprechen sogar von einem 'Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda') zunehmend selbstbewusst besetzt"? Ihr könnt es nachlesen in einem netten kleinen Stück von Clemens Knobloch in der Wochenzeitung Freitag vom 7.7.2006, in dem auch die dringend notwendige Frage gestellt wird, warum eigentlich die zwischenzeitlich diskutierte De-Facto-Schließung der Medizin in Witten-Herdecke gerade als Zeichen für Qualität und Exzellenz gesehen wird. Preisfrage: Warum steht sowas nicht in der Zeit?

...woran mensch Ausbildungsprozessqualitätsentwicklung erkennt? Daran, dass im vergangenen Jahr die Studis die Unis nach im Mittel 10.5 Fachsemestern mit einem Abschluss verließen und damit fast in Regelstudienzeit. 16900 Prüflinge hielten im letzten Jahr den gestrengen Fragen der Edelprofen stand, 1.1% weniger als im Vorjahr. Wenn ihr noch mehr Organisation haben wollt: An den PHen kommen die Leute im Schnitt mit 7.7 Semestern aus, an den Verwaltungsfachhochschulen (wo sie natürlich auch bezahlt werden) nach deren sechs. Mehr Zahlen dieser Art gibts in einer Pressemitteilung des Landesamts für Statistik. Was dort nicht steht: 2001 war die mittlere Studiendauer bei deutlich mehr Lehrpersonal noch 13.4 Hochschulsemester. Klare Qualitätskennzeichen. Oh, und: Damals hatte die KMK prognostiziert, dass sich an den Studienzeiten kaum etwas ändern wird. Das sind die ExpertInnen, die euch sagen, dass Studiengebühren keine Auswirkungen auf die soziale Zusammensetung der Studis haben werden.

...dass wir künftig noch mehr Dieter Schwarz-Chairs for Warenwirtschaft und Logistik bekommen werden? In einer Pressemitteilung des MWK lässt der Minister verkünden, er wolle im Rahmen eines "Masterplans" "Hochschule 2012" (gehts noch dümmer?) verstärkt "die Wirtschaft" beteiligen, wohl im Vorgriff auf die Kürzungen, die auf die Erhebung von Studiengebühren folgen werden. Bemerkenswert dabei die Offenheit, mit der der Minister zugibt, "den Ausbau der Studienkapazitäten am besonderen Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften" im Bereich Ingenieur- und Naturwissenschaften ausrichten zu wollen, denn früher hieß es immer noch, die Horrorszenarien der Studis von einem Ausverkauf der Geistes- und Sozialwissenschaften bei einer Wandlung der Unis in Subventionsmaschinen für die Wirtschaft seien reine Paranoia. Nun, immerhin das: irgendwann scheint selbst in der fantastischsten Fabel die Wahrheit durch.

...dass ihr im Rhein-Neckar-Raum Jobs mit Zukunft finden könnt? In der Wachstumsbranche "Mutter Courage" aktiv ist nämlich das Mannheimer Versorgungsunternehmen MVV, bekannt aus Studiticket und Strompreis, aber auch aus Zusammenkehren im Kosovo oder jetzt in Afghanistan. Wenn ihr schon immer mal in den Kongo wolltet: Nichts wie abschließen und dann ab mit der Bewerbung in die Nachbarstadt.

...wer über die Nationalhymne der BRD [6 MB PDF] Folgendes gesagt hat: "Sie [viele] wollen gerade in jenem Lied etwas imperialistisches erblicken, das doch von ihrem Imperialismus am weitesten entfernt ist"? Und wer Folgendes: "Die Fußballweltmeisterschaft hat die Identität stiftende Funktion unserer Nationalhymne im positivsten Sinne aufgezeigt und deutlich gemacht, dass die dritte Strophe des Deutschlandliedes sehr gut zu einem gastfreundlichen und toleranten Deutschland passt"? Die nächste Web-Suchmaschine ist euer Freund...

Walter I. Schönlein

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