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Prüfungen in Spanien -- Sibirien

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Da quält man sich also samstags um halb drei nachmittags aus dem Bett, stellt sich die großen Fragen der Menschheit, schimpft über die spanischen Leb- und Schlafgewohnheiten, aber schließlich ist man ja als Kulturwissenschaftler quasi gezwungen, diese zu assimilieren und sich anzupassen, und ich kann sagen, es ist nicht einfach; doch die Belohnung für soviel Anstrengung lässt nicht lange auf sich warten. Eine kalte Sonne eröffnet den Blick auf einen strahlendblauen Himmel ... und Schnee: Ausgewachsene Eingeborene spielen und zeigen als Ausdruck ihrer Verbundenheit mit dem neuen Aggregatzustand des Lebensspenders archaische Rituale, die darin bestehen, einander den Kreislauf des Wassers in beschleunigter Form näherzubringen, wozu sie sich -- als Zeichen der Harmonie mit der Umwelt - mit kugelförmig gepressten Schneemassen gegenseitig markieren, die durch eine eigens hierfür adaptierte Kulturtechnik manuell beschleunigt werden, um der Erdanziehung in ballistischen Kurven widerzustehen vermögen, äh zu widerstehen vermögen, äh zu widerstehen. Die echte Freude ist verständlich, denn wie wir in einer repräsentativen demographischen Umfrage, also nach Selbstaussage einer nicht zufällig ausgewählten Person, feststellen konnten, war dies für einige der erste Kontakt mit diesem für uns schon zur Selbstverständlichkeit gewordenen Umweltphänomen.

Doch nicht nur draußen macht der Winter Fortschritte. Da unsere letzte Heizungsrechnung exorbitant, dabei aber für hiesige Verhältnisse nicht ungewöhnlich war, müssen wir sparen. Jetzt tritt die Aktion "bájala" ("runter mit ihr" => natürlich der Heizung) in Kraft. Wir vermissen alle die Dschungeltemperaturen in Flur, Bad und Küche, aber in letzterer heizt beim Kochen ja der Gasherd mit, und sind auf die nächste Rechnung gespannt, ob unsere Anstrengungen honoriert werden.

Doch sind das nicht die einzigen Taktiken. José und mir war gleich klar, wir müssen mehr Leute auf fiestas einladen, denn 1) die bringen die Getränke mit, so daß man die Kälte weniger spürt, 2) die bringen ihre Körperwärme mit und treiben die Raumtemperatur hoch. Eine andere Methode war, da wir im Medienzentrum Küche jetzt auch noch den Fernseher haben, so daß wir kochen und glotzen können, um nun den Konflikt aus der unendlichen Anzahl der Stecker von Discman, Lautsprechern, Mikrowelle, Wasserkocher, Verteilerkabel und der leider endlichen Anzahl von Steckdosen zu lösen - oh ich habe den übergeordneten Satz verloren egal einfach weiterschreiben das hat keiner gemerkt - ganz einfach den des Boilers rauszuziehen! José hat diese effiziente Methode, gleich doppelt zu sparen - einmal den Verbrauch an Gas, da das Wasser ja ungeheizt ist, und zum anderen den Verbrauch von Wasser an sich, das in seiner reinsten, kältesten und klarsten Seele aus der Leitung schießt, so daß man in Rekordzeit duscht, im Selbstversuch selbstverständlich selbstlos getestet: Wir haben den Stecker jetzt wieder drin!

Stecker draußen war dagegen beim Kühlschrank: fast hätten uns die Pinguine begrüßt, oder wir wären unter die Eis-Produzenten gegangen. Denn immer noch war das Gefrierfach voll von Josés Fleisch-Vorräten für den dritten Weltkrieg, die er allerdings vergessen hatte, denn man konnte sie ja auch nicht mehr sehen vor all' dem Eis. So hat nicht nur seit Monaten nichts mehr hineingepasst, was schließlich auch für das Eis selbst galt. Das ist dann auch dementsprechend durch die Klappe gekommen und wollte sich mit dem Kühlschrankinhalt verbrüdern. Doch so nicht, keine Einheit in diesem Kalten Krieg! Schließlich soll man ja aus der Geschichte lernen -- und das heißt vor allem: raus mit den unerwünschten Elementen!

Dafür war natürlich erstmal politisches Tauwetter herzustellen, weshalb ich die Nachschublinien gekappt habe, bevor die schmutzige Arbeit mit Hammer und Meißel begann. Schicht für Schicht kristallisierten sich schwarz-rot-orange eingefrorene Filets vom Boden, zeugten jahrhundertealte Eissäulen anhand ihrer Calamaresringe vom Klima früherer Epochen, ebenso erhaltene Fischstäbchen bewiesen, daß auch längst vergangene Kulturen über verblüffend ähnliche Techniken der Lebensmittelkonservierung verfügten wie wir heute. Da ich Hoffnung hatte, eventuell auch auf einen Ötzi zu stoßen, klopfte ich mich behutsam durch die Eismassen, die mir als Versinnbildlichung des Klimawandels bald entgegenfielen: Ob sie aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau, oder aber überhaupt nicht in die bereitgestellten Salatschüsseln stürzten, war nicht gewiß. Gewiß ist aber nun, nachdem ich mit eiskaltem Händchen und eiskalter Miene diese Arbeit beendet habe, daß wir, unterstützt von José, der sich auf die Filets gestürzt hat, wieder Platz im Gefrierfach haben.

Da man jedoch nie wissen kann, was die nächste Gasrechnung bringen wird, bitten wir um Spenden. Sie können in Form von Lebensmitteln (gern auch gefrostet), Briefmarken und Schecks an folgende Adresse geschickt werden:
Spanien-Michael
FachSchaftsKonferenz
Zentrales Fachschaftenbüro - ZFB
Albert-Überle-Straße 3-5
69120 Heidelberg

Tschüß aus Spanien. Michael

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Erzeugt am 19.12.2005

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