SchülerInnen, die Diatriben wie in der Überschrift von sich geben, können sich künftig auf die OECD berufen: Ganz frisch auf dem Tisch liegt der TIMSS-Nachfolger PISA, und wieder wird die Gelehrtenrepublik in Gestalt ihrer selbsternannten EhrenbürgerInnen aufschreien. TIMSS, mensch erinnert sich, war eine Studie über die Mathematikfähigkeiten der SchülerInnen in allen möglichen Ländern und ergab, dass die Deutschen aussterben müssen, wie Günther Grass schon 1980, lang vor aller Rankingwut, befürchtet hatte.
TIMSS war -- zu recht -- methodisch kritisiert worden, und so gibt sich PISA Mühe, es besser zu machen; es geht nicht mehr nur um Mathe, die Prämissen und Methodik werden relativ sorgfältig diskutiert, und mensch mag manchmal glauben, dass sich die AutorInnen der Studie ernsthaft Mühe gegeben haben, nicht von vorneherein den wüstesten Schleifsystemen die besten Chancen einzuräumen.
Entsprechend gespannt warteten GEW und Philologenverband auf die neuen Ergebnisse. Für die LehrerInnenorganisationen sind sie zunächst wenig schmeichelhaft, denn im vielgerühmten "internationalen Vergleich" gehen die SchülerInnen der BRD ziemlich unter. Mit fliegenden Fahnen beim Lesen, während sie sich in Mathematik und Naturwissenschaften immerhin noch im unteren Mittelfeld halten.
Nun ist es sicher grober Unfug, Bildung oder auch nur Ausbildung wie die Fußball-Bundesliga zu betreiben, und die Zahlenspiele in Rankings dieser Art bleiben bei aller Sorgfalt höchst fragwürdig. Zu denken geben sollte es den Elitebildnern der Bildungspolitik aber schon, dass die BRD fast durchweg die höchste Spannbreite der Ergebnisse vorzuweisen hat, die Korrelation zwischen sozialem Hintergrund und "Leistungen" gar einsame Weltspitze ist. Mit anderen Worten: Entgegen dem Bild, das "wir" so gerne von "uns" malen, gibt es die Elitebildung bereits, ebenso wie die sie begleitende Entwicklung einer, nett gesagt, bildungsfernen Unterschicht alias Prolls hart an der Grenze zum Analphabetismus. Die vielbeklagte "sozialistische Gleichmacherei" mag es in Japan oder den USA geben, hier jedenfalls nicht.
Dass in dieser Situation das gestufte Schulsystem mit der frühen Selektion nicht hilft, ist sogar den deutschen AuswerterInnen vom MPI für Bildungsforschung in Berlin aufgefallen; dass umgekehrt verschiedene Gesamtschulmodelle sehr gut abschneiden, ist bei aller Skepsis dem Datenmaterial gegenüber auch kaum von der Hand zu weisen. Dieser Schluss passt natürlich gar nicht in die gegenwärtige Elitendebatte, und so ist die eigentlich spannende Frage, welche Gedankensprünge die ChefideologInnen der hiesigen Bildungslandschaft bei der Zeit, im Stuttgarter Kultusministerium, bei der FAZ oder in Berlin werden wagen müssen, um ein "Ja zur Elite" aus der Studie abzuleiten.
Wirklich erfreulich wäre es wohl, wenn der ganze Zahlenwust gleich im Datenklo enden würde und sich die Überlegungen mehr darauf konzentrieren würden, was wir denn eigentlich von der Schule erwarten und wie wir es hinbekommen -- denn dabei helfen die wohldesigntesten internationalen Vergleiche erstmal gar nicht. Ob "wir" danach den Konkurrenzkampf mit Japan "verlieren", diese Frage ist noch offener als die nach Sinn und Zweck von Studien der Marke PISA.
Dennoch: Ein paar Blicke in die Studie lohnen sich, weshalb wir eine gut lesbare Zusammenstellung der PISA-Ergebnisse hier spiegeln. Das Original der Datei kommt vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, das wir bitten, uns Bescheid zu sagen, bevor sie RechtsanwältInnen auf uns hetzen.
Nachtrag (7.2.2002): Die oben verlinkte Studie ist, wie wir jetzt erfahren, nicht wirklich OECD-offiziell (wenn auch natürlich auf der selben Datenbasis ruhend). Wers von der OECD selbst haben möchte, kann bei www.pisa.oecd.org vorbeischauen oder alternativ eine Superkurzzusammenfassung, die wir hier von der OECD spiegeln, lesen. Deren Fokus ist naturgemäß etwas internationaler, weshalb sie auch so durchaus einleuchtende Sätze wie "In Ländern, die in einem frühen Alter zwischen Programm- und Schultypen differenzieren, scheinen die Unterschiede bei den Schülerleistungen und die Leistungsunterschiede zwischen den Schulen größer zu sein" bringen kann, ohne gleich der kommunistischen Gleichmacherei bezichtigt und von den CDU-KultusministerInnen auf den Index gesetzt zu werden.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 11.01.2002, 11.01.2002, 06.02.2002