Bologna ist -- oder war -- in Italien als la Rossa bekannt, unter anderem, weil der dortige Stadtrat seit dem Sturz Mussolinis fast durchgehend kommunistisch dominiert war. Ausgerechnet dort haben sich 1999 Bildungsminister aus 29 Europäischen Staaten getroffen und eine Erklärung verfasst, die etwas einleitete, das von den MacherInnen der Hochschulpolitik mittlerweile "Bologna-Prozess" genannt wird.
Von diesem Bologna-Prozess werden wir in den nächsten Jahren wohl noch einiges hören, denn die Maßnahmen, die die Erklärung für nötig befindet, werden, beginnend beim Mitunterzeichner Catenhusen -- seines Zeichens Staatssekretär im Bulmahn-Ministerium -- bis hinunter zum Heidelberger Senatsausschuss für internationale Beziehungen (SAIS) mit teilweise erstaunlichem Elan umgesetzt oder wenigstens vorbereitet.
Worum geht es also? Zunächst klingt die Erklärung nicht schlecht: Europa sei, so die Sorbonne-Erklärung, die der Bologna-Erklärung als Vorbild diente, nicht nur ein Europa des Euro, sondern auch eines von Wissen und Kultur. In Bologna verstiegen sich die MinisterInnen unter dem Eindruck ihres Krieges gegen Jugoslawien sogar zum schönen Satz "The importance of education and educational co-operation in the development and strenghtening of stable, peaceful and democratic societies is universally acknowledged as paramount, the more so in view of the situation in South East Europe".
Was da so menschenfreundlich daherkommt, ist aber in Wirklichkeit -- und vielleicht nicht ganz überraschend -- primär ein Programm zur fortschreitenden Verschulung des Höheren Bildungswesens, zum Abschied von der Bildungsfreiheit. Bildung soll Ausbildung, soll marktgängig werden, denn: "We must in particular look at the objective of increasing the international competitiveness of the European system of higher education."
Die Konsequenz: Gestufte Studiengänge müssen her, also möglichst sowas wie Bachelor/Master -- das Papier redet von zwei Zyklen und will, dass schon der erste Zyklus, der Bachelor eben, "relevant to the European labour market" ist. Diese Studiengänge sind auf mindestens drei bzw. mindestens zwei Jahre festgelegt, was schon ahnen lässt, dass sie erheblich stärker regelmentiert sein werden als augenblickliche Diplom- oder Magisterstudiengänge -- was in der Tat den ersten Erfahrungen mit dieser Sorte Hochschulreform entspricht. (Die Redaktion fürchtet, dass das "mindestens" in der nächsten Fassung des Papiers rausfallen wird...) Ganz böse wird es DoktorandInnen treffen, die bislang ja weitgehend frei arbeiten konnten (wenigstens, sofern sie nicht in Graduiertenkollegs oder im Seminar eines DoktorandInnenschinders steckten), denn ganz nach US-Vorbild soll die Promotion eine Art alternativer zweiter Zyklus werden und damit natürlich ebenfalls stark von Frontalunterricht geprägt werden.
Das andere große Thema ist die Mobilität. Mensch mag ja noch nicht viel einwenden, wenn mindestens je ein Auslandssemester pro Zyklus mehr oder minder verpflichtend wird -- wer reist nicht gern --, doch muss damit einerseits ECTS kommen, also mehr oder minder flächendeckende Benotung von Scheinen und eine massive Ausweitung der Schein- und Klausurpflicht, und andererseits eine "Harmonisierung" der Studienformen und -inhalte. Dass dies in diesen Zeiten nicht bedeutet, dass englische Unis das noch relativ freie deutsche Modell übernehmen, ist klar; eher schon werden die hiesigen Unis zu Lernfabriken nach französischem Vorbild gestylt werden.
Als kleiner Lichtblick bleibt das "Diploma Supplement" zu vermelden -- die Idee hier ist, den Studierenden ergänzend zur doch etwas dürftigen Zahl auf dem Abschlusszeugnis ein etwas wortreicheres Dokument auf den Arbeitsmarkt mitzugeben. In einer idealen Welt könnte also statt "2.3" schließlich eine ausführliche Rezension der individuellen Stärken und wegen uns auch Schwächen der "Ware" Mensch stehen, die prospektiven KäuferInnen seiner oder ihrer Arbeitskraft tatsächlich einen Einblick gibt, was sie denn da so erwerben. Vermutlich wird aber nicht mal das passieren, und das Diploma Supplement wird sich wohl beschränken auf einen per Rechner erzeugten Auszug aus dem kommentierten Vorlesungsverzeichnis, pardon, dem Module Directory.
Nun, der Eurokommunismus ist tot. So kommt aus Bologna etwas, das stark nach Bildungsstalinismus riecht. Auch die in blauem Blut gehaltene Unterschrift von Baroness Tessa Blackstone of Stoke Newington, damals Minister of State of Education and Employment des United Kingdom, mag diese Analyse kaum zu ändern. Widerstand würde wohl helfen -- aber die Studierenden aus all den 26 Ländern sind wohl schwieriger an einen Tisch zu bekommen als Minister und Staatssekretäre. Und das ist schade, denn in Sachen Protestkultur könnten wir durchaus das eine oder andere von unseren Französischen KollegInnen lernen...
Dieser Artikel wurde zitiert am: 26.02.2003, 20.09.2003, 08.10.2003, 02.06.2004, 09.03.2005, 02.11.2005