Deintegrationshilfe (14.05.2002)

Seit dem 9. März wohnt Familie Berisha aus Ziegelhausen in der Rohrbacher St. Thomas-Kirche: Kirchenasyl, denn den fünf Menschen droht die Abschiebung nach Albanien. Ihre Geschichte, soweit bundesdeutsch aktenkundig, beginnt 1990 in der Botschaft in Tirana. Dorthin hatten sich Gezim und Filoreta Berisha mit ihren damals zwei Kindern geflohen, teils vor dem beginnenden Chaos am Ende der Ära Enver Hodscha, teils, weil die private Situation im Großfamilienverband unerträglich war und bei der ältesten Tochter bereits zu schwerwiegenden Geburtsschäden geführt hatten, deren Folgen noch heute spürbar sind.

Damals war es den Behörden wohl noch peinlich, BotschaftsbesetzerInnen einfach wieder an die Luft zu setzen, kopierten sie doch nur das Verhalten der "Helden", die im Vorjahr mit ihren Aktionen in Prag, Warschau oder Budapest geholfen hatten, das DDR-Regime zu destabilisieren. So kamen die Berishas als so genannte Kontingentflüchtlinge in die BRD. Es war ihr Pech, dass sie in Baden-Württemberg landeten; während in anderen Ländern diese Kontingentflüchtlinge einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhielten, blieben sie hier in der Schwebe, bis das zuständige Bundesamt 1995 verkündete, die Lage in Albanien habe sich so verbessert, dass die Flüchtlinge eigentlich abgeschoben werden könnten.

Diese Einschätzung änderte sich nicht, als wenige Jahre später deutsche Soldaten aus dem Bosnien-Kontingent einige hundert Nichtalbaner mit Waffengewalt aus Tirana evakuierten -- immerhin die ersten scharfen Schüsse deutscher Soldaten auf ausländische Zivilisten seit dem zweiten Weltkrieg, -- und natürlich schon gar nicht, als unter dem Schutz auch deutscher Truppen die UCK in großem Stil Roma aus dem albanisierten Kosovo vertrieben. Wen mag da auch interessieren, dass Gezim Berisha Roma ist?

Für die Berishas bedeutete das, dass ihre Duldung vom Wohlwollen der Heidelberger Behörden abhing. Angesichts des Umstandes, dass Gezim ein paar Mal beim Tomatenklauen im Feld erwischt worden war und er mit seinem albanischen Führerschein Auto gefahren war, vor allem aber wohl, weil sich die Berishas damals noch teilweise durch Sozialhilfe finanzierten, duldete die Stadt nicht. Zwischen 1998 und 2002 beschäftigte der Fall die Gerichte, im Februar dann war der Rechtsweg ausgeschöpft, und die Stadt wollte die Eltern mitsamt ihren Kindern, die praktisch kein Albanisch sprechen, abschieben, obwohl seit 1995 die Tomaten auch bei Berishas aus dem Laden kommen und der Führerschein ebenfalls alle erforderlichen Stempel trägt.

In der Tat war die Familie schon fast ein Musterbeispiel an Integration -- beide Elternteile arbeiten in der Heidelberger Filiale der Fischkette Nordsee und sind dort so beliebt, dass sich Geschäftsleitung und Belegschaft fürs Bleiberecht einsetzen, für die beiden Jungen verwendet sich der Ringerclub, der in den beiden wahre Stützen der Mannschaft hat, ihre Klassen malen Bilder für sie, und die Ziegelhäuser Nachbarschaft organisiert eine Bürgerinitiative, die die ganze Familie in ihrem Kampf um ihre neue Heimat unterstützt. So viel Kompatibilität mit den Idealen der neuen deutschen Einwanderungspolitik rang sogar der gewiss nicht im Ruf erheblicher Fortschrittlichkeit stehenden RNZ eine Serie so ausführlicher wie wohlwollender Artikel über den Fall ab.

Auch wenn sich viele derer, die jetzt ein Herz für AbschiebekandidatInnen entdecken, vielleicht fragen sollten, wo sie sind, wenn der nächste Mensch ohne Kinder, Arbeit und Sprachkenntnisse in einen ziemlich sicheren Tod abgeschoben wird: Jede verhinderte Abschiebung ist ein Erfolg, und die Aussichten dafür sind im vorliegenden Fall trotz allem nicht schlecht. Beschritten wird sowohl ein juristischer -- beantragt wird die Wiederaufnahme des Duldungsverfahrens wegen geänderter Ausgangslage -- als auch ein politischer Weg -- eine Petition an den Bundestag liegt seit 22.4. in Berlin, an einem der nächsten Wochenenden werden AktivistInnen Unterschriften sammeln, bereits die Hälfte der Heidelberger Kirchengemeinden hat eine Resolution für die Berishas unterschrieben.

Es besteht also Hoffnung für das multikulturelle Paar aus einer Albanerin und einem Roma samt ihrer de facto deutschen Kinder -- bis zu einer dauerhaften Duldung oder gar Einbürgerung bleibt aber noch viel Arbeit zu tun, und so sucht der UnterstützerInnenkreis immer MitarbeiterInnen. Wer daran Interesse hat, kann sich entweder an die Redaktion wenden oder direkt an Ulrike Duchrow (Heidelberg-712786). Dort ist auch das Spendenkonto zu erfragen, denn immerhin können die beiden derzeit unter Gefahr der Abschiebung nicht zu ihrem Arbeitsplatz, und die Wohnung in Ziegelhausen will auch bezahlt sein.

So bedenklich es ist, mit guter Integration zu argumentieren, wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht: Den Berishas ist zu wünschen, dass die Stadt ihnen schließlich Bleiberecht gewährt. Und vielleicht gibt ihr Fall ja auch so manchem/r zu denken, ob nicht vielleicht auch ein weniger gut integrierter Mensch ein Lebensrecht hat und die Reise in sein heimisches Folter- und Hungerregime von Gnaden des IWF, der Weltbank und der EU -- Sprachkenntnisse hin oder her -- nicht "verdient" hat.

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