Ging man bislang davon aus, dass die armen Schlucker in der Altstadt im Groben die Drittmittelbilanz der Uni verhageln, ist es einigen Altstadtfachbereichen im Mai gelungen, 3.5 Millionen Euro für den Sonderforschungsbereich 619 "Ritualdynamik" bei der DFG lockerzumachen. Für dieses spannende Thema interessieren sich Religionswissenschaft, Soziologie, Erziehungswissenschaften, Germanistik, Theologie, Islamwissenschaft und Medizinische Psychologie (Hommelhoff hätte gern gehabt, dass sich auch die Musikwissenschaft interessiert, aber so weit ist es noch nicht) -- also alles Fächer, in denen eigentlich schon 100 Euro an Drittmitteln richtig aufregend sein. Was liegt also näher, als diesen neuen SFB auch mit einem Eröffnungsritual zu feiern? Eben das passierte gestern in der alten Aula.
"Ging man bislang davon aus," so der SFB in einem kleinen Vorstellungsblatt, das vor der Veranstaltung verteilt wurde, "Rituale seien stereotype und erstarrte Verhaltensformen, deren Genese nur schwer nachweisbar ist, wird sich das geplante Projekt vorrangig der Frage nach Entstehen und Vergehen ritueller Praktiken [...] widmen". Ganz im Sinne dieses Mottos erschien Rektor Hommelhoff zur "Salutatio" in Amtskette, Talar und einem aparten Hut, der ganz offenbar aus der Requisitenkammer der Harry Potter-Filme stammte. Sein Gerede von "Return of [sic!] Investment" und bemüht kritische Bemerkungen über Marktorientierung vermochten um so weniger zu überzeugen, als er später forderte, gerade dieser SFB solle sich mal "kräftig anstrengen", um "den Steuerzahler" vom RoI zu überzeugen.
Bemerkenswerter war da schon, dass Axel Michaels, der Sprecher des SFB, in seiner "Introductio" allen Ernstes auf das Internet rekurrierte, und zwar keineswegs nur im klassischen kulturpessimistischen Sinn -- er merkte an, gegenwärtig führten alle Google-Resultate für Ritualdynamik nach Heidelberg. Das stimmt zwar so nicht, trotzdem ist es bemerkenswert, dass selbst in den Bastionen deutschen Geisteslebens allmählich das Brockhaus-Zitat durch harte Empirie ersetzt wird. Nicht ganz verständlich war jedoch Michaels Erklärung der drei Schalen, die am Boden der alten Aula platziert worden waren und irgendwie mit drei Projektbereichen korrespondieren sollten: Sand (in den mensch den Kopf steckt), Wasser (das wenigstens GriechInnen mit Weisheit konnotieren sollen) und endlich Blüten als ein memento mori. Na ja.
Das Ritual nahm seinen weiteren Verlauf mit einer Rede des Doyen der deutschen Ritualforschung, Walter Burkert, "Lectio" genannt. Nicht unsympatisch in diesen Zeiten der Studienzeitverkürzung war sein Eingeständnis, rückwärtsgewandt zu sein, gar zu einer unaufhebbaren Langsamkeit, die ein Ritual nun mal mit sich bringe, zu stehen. Ein Ritual, so war weiter zu erfahren, sei eine Mitteilung durch Handlung.
Wie wesentlich und zentral diese Sorte Mitteilungen in unserer Gesellschaft sind, versuchte Burkert an drei Beispielen zu belegen: Den Eidritualen, zumeist Selbstverfluchungen, die Gelegenheit zu blutrünstigen Schilderungen gaben, aber auch -- wir erinnern uns -- als Vereidigung den Charakter atavistischer Initiationsrituale haben können; dann den Hierarchieritualen, die eine Geschichte von den Schimpansen bis hin zu ProfessorInnen haben (letzteres Beispiel sparte Burkert wohlweislich aus), und zwar mit erstaunlicher Kontinuität, die sich etwa in der Geste des Berührens der Kniekehlen zeigen lässt: Vom antiken Griechenland bis zum Indisch-Pakistanischen Krieg von 1973 versuchten die unterlegenen Krieger immer wieder (vergeblich), auf diese Weise einem frühen Tod zu entgehen; und schließlich, daran anschließend, Totenrituale, wobei dem Redakteur eine Referenz auf die neuesten Trends auf diesem Sektor abging.
Nach diesem Highlight lichtete sich das Publikum -- das vorher, wohl angezogen von der reißerischen Einladung, reichlich zugegegen war -- etwas, die "Quaestio disputata", die mensch etwas verkürzt als "Ist Soziobiologie ideologischer Unfug?" zusammenfassen könnte, schien dann doch nicht mehr so interessant, gleichwohl sich die VeranstalterInnen auch hier etwas Mühe gegeben hatten. Schon, dass die These von vorne, die Antithese aus der hinteren Empore vorgetragen wurde, war eine reizvolle Abweichung vom gewohnten Ritual -- der Versuch jedoch, SFB-Angehörige und BesucherInnen per Sitzordnung in eine Name-der-Rosige Stimmung zu versetzen, scheiterte, die Disputation, ohnehin auf 15 Minuten begrenzt, wollte trotz des sicher sehr emotionsgeladenen Themas nicht in Gang kommen. Was vielleicht auch nicht so schrecklich schade war.
Fazit: Vielleicht haben wir hier die Genese eines weiteren albernen Rituals erlebt, denn die Dynamik der Rituale an den Uni nimmt offensichtlich in dem Maß zu, in dem die Errungenschaften der 60er und 70er Jahre zurückgedrängt werden, von Jahresfeiern bis zu feierlichen Verleihungen von Diplom-, Zwischenprüfungs-, Scheinerwerbs- und Mensagangsurkunden. Vielleicht kann aber die Wissenschaft auch Hinweise geben, wie mensch diesen ganzen Quatsch wieder loswird.