Bedeutende Jahrestage 2005 für Uni und Region
Wer regelmäßig auf den Seiten des UNiMUT vorbeikommt (oder gar unseren RSS-Feed abonniert hat), kennt sie: Unsere Jahrestage, die an bedeutende oder auch weniger bedeutende Ereignisse aus der Geschichte Heidelbergs, seiner Uni oder auch mal fortschrittlicher Bewegungen insgesamt erinnern. Im nächsten Jahr braucht ihr für diese kleinen Rückblicke nicht mehr den Rechner einzuschalten, denn ihr könnt unseren Tischkalender ausdrucken und je nach handwerklichen Fähigkeiten mehr oder minder schön selbst binden. Der Inhalt ist GNU-FDL-frei, wer will, kann also noch schnell in die kommerzielle Produktion einsteigen...
Die Jahrestage-Datenbank verrät aber auch im Voraus die Jahrestage, die sie in einem bestimmten Jahr für besonders bemerkenswert hält. Das geht in die fast beliebig weite Zukunft oder Vergangenheit, als kleine "Jahresvorschau" wollen wir aber auf die runden und wichtigen Jahrestage im nächsten Jahr an dieser Stelle etwas genauer eingehen.
Da haben wir zunächst gleich am 1.1. den 80. Geburtstag des DAAD, der 1925 als Akademischer Austauschdienst startet. 1925 wurde er auf die Initiative des damaligen Studierenden Carl Joachim Friedrich hin hier in Heidelberg gegründet. Im Hintergrund stand schon damals halbprivates Geld, namentlich die Verteilung von Stipendien des Institute of International Education aus den USA.
Der DAAD war lange Jahre eine recht sinnvolle Einrichtung, die Studierenden in der BRD Auslandsaufenthalte erleichterte oder erst ermöglichte und umgekehrt Studierende aus dem Ausland in die BRD holte. In dieser Eigenschaft hat er auch schon mal Presseerklärungen gegen die wachsende Ausländerfeindlichkeit herausgegeben. Aber natürlich war da auch schon immer eine Note von "nur die Besten" dabei, denn irgendeine Sorte "exzellenter" Leistungen wurde doch meistens verlangt für ein Stipendium.
In der jüngsten Zeit allerdings ist der DAAD leider komplett abgedreht. Kooperationen mit dem Überwachungs- und Nuklearkonzern Siemens und gar dem CHE sprechen eine deutliche Sprache. Ob sich Carl Joachim Friedrich angesichts dieser Wendung der Dinge im Grab umdreht, muss indes offen bleiben. Immerhin unterrichtete er nach seiner Flucht vor den Nazis an der Harvard University (über so lange Zeit überlebt mensch das nur mit einigem Elitedünkel) und arbeitete mit Scharfmachern wie Ex-US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski zusammen im Bereich der Totalitarismusforschung -- ein Feld, dessen höchstes, wenn auch vielleicht nicht immer offen erklärtes, Ziel die Ableitung von Gleichungen des Typs Stalin=Hitler=Saddam ist.
Der nächste Jahrestag kommt am 15.1. und ist vor allem für Studierende in der Altstadt spannend: Die gute alte Neue Uni wird 75. Der Redaktion ist nicht bekannt, dass von Seiten des Rektorats dazu größere Feierlichkeiten geplant wären, was einerseits nicht verwunderlich ist, geht es doch nur um öde Lehre und nicht um hochspannende Forschung. Andererseits ist es auch wieder überraschend, denn die Neue Uni wurde ganz wesentlich von Mitteln eines Alumnus finanziert (im ersten Stock seht ihr noch die Tafel): Jacob Gould Schurman, zeitweise (wenn auch nicht in Heidelberg) Professor für Metaphysik und Englische Literatur und später US-Botschafter in der Weimarer Republik, erinnerte sich auf seine alten Tage seiner Alma Mater, die nach dem großen Krieg des Kaisers (und den spektakulär zusammengebrochenen marktliberalen Reformen der 20er Jahre, was allerdings beim Start der Aktion noch keine Rolle spielte) litt und darbte.
In einer Spendensammlung, die noch während des damaligen Aktionbooms 1927 begann, kratzte er wirklich genug Geld -- 500000 Dollar -- zusammen, um den Hörsaalbau beginnen zu können und wurde dafür 1928 auch mit der Ehrendoktorwürde der Universität belohnt. Der NS-Studentenbund polemisierte von Anfang an heftig gegen den Bau, da er mit "jüdischem" Geld errichtet worden sei.
Vor einigen Jahren wurde der Eingang der Neuen Uni etwas verschönert. Das darüber angebrachte Motto "Dem lebendigen Geist" geht nicht auf Schurman zurück, sondern ist ein Zitat von Friedrich Gundolf (und wurde 1933 vorübergehend durch "dem deutschen Geist" ersetzt) -- aber das muss euch nicht hindern, mal etwas von Schurman selbst zu lesen: Das Project Gutenberg bietet sein Werk "The Balkan Wars: 1912-1913" zum freien Download an.
Gleich zwei Jahrestage gibts zum Collegium Academicum zu vermelden. Ältere HeidelbergerInnen erinnern sich noch gut an das selbstverwaltete Studiwohnheim, das am 27.7.1945 -- also vor 60 Jahren -- von den US-Behörden eingerichtet wurde, um den Studentenverbindungen, die traditionell die reaktionäre deutsche Elite reproduziert und in ihrer Mehrheit die Hitlerbarbarei vorbereitet (vgl. etwa den Fall Gumbel) hatten, wenigstens in der Unterbringungsfrage etwas entgegenzusetzen.
Das Reeducation-Projekt klappte zu gut, und das CA, wie es später nur noch genannt wurde, entwickelte sich in den 1960er Jahren zu einem Hort allerlei linken Gedankenguts und zu einem der Zentren der Studierendenrevolte von 1968. Nicht zuletzt im Rahmen der Terror-Hysterie der 1970er Jahre -- der Fairness halber muss zugegeben werden, dass es damals tatsächlich Verbindungen zwischen RAF und der Heidelberger Studiszene gab -- sollte dieser Sumpf 30 Jahre später trockengelegt werden. Dementsprechend beschloss der Senat am 18.2.1975 -- vor 30 Jahren --, das CA aufzulösen, sein Gebäude zu renovieren und die Universitätsverwaltung darin unterzubringen.
Ganz freiwillig gingen die Menschen nicht aus dem CA. Erst am 6.3.1978 konnte das CA von einem gewaltigen Polizeiaufgebot geräumt werden. Die Erinnerung an diese Geschichte ist offiziellen Stellen der Uni immer noch unangenehm, so sehr, dass sie Anfang der 90er beschloss, etwas dagegen zu tun, dass nach wie vor viele Leute CA zur Seminarstraße 2 mit all den wichtigen Einrichtungen der ZUV sagten. Wir kolportierten später das Gerücht, der Schriftzug "Carolinum", der in der Folge angebracht wurde, habe samt popöser Einweihung gegen 60000 Mark gekostet. Das ist dann etwa der Tarif für die Kontrolle der Geschichte. Und weil niemand CA als Abkürzung für "Carolinum" verwenden wollte, trägt die Seminarstraße 2 nun den allgemein akzeptierten inoffiziellen Namen ZUV.
Ein weiterer runder 60er betrifft die Uni noch direker: Am 28.11.1945 hat die US-Militärregierung die neue Satzung der Universität Heidelberg genehmigt, womit der geregelten Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit nach dem großen Krieg des Führers nichts mehr im Wege stand. Auch wenn honorige Köpfe wie Karl Jaspers an der Satzung mitgewirkt hatten, war das vielleicht etwas übereilt, denn von einer gründlichen Entnazifizierung der Ordinarienränge, die sich unter den Nazis größtenteils wirklich nicht mit Ruhm bekleckert hatten (Stichwort könnte hier Phillip Lenard mit seiner "Deutschen Physik" sein -- wer möchte, kann in der Bibliothek der Angewandten Mathematik in dieser Schwarte schmökern und sich gruseln) konnte kaum die Rede sein.
Ein anderes Beispiel missglückter Entnazifizierung jährt sich 2005 zum fünfzigsten Mal. Dazu müssen wir ein bisschen nach Nordwesten blicken, genauer nach Lampertheim. Dorthin kehrte am 17.10.1955 der Nazi-Kriegsverbrecher Wilhelm Rau zurück -- er war als ausgesprochen schwer Belasteter zehn Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gewesen -- und wurde mit allen Ehren empfangen, obwohl seine Verbrechen, vor allem in Polen, wohlbekannt waren. Dies ist um so bemerkenswerter, als etwa zu dieser Zeit ein bereits zuvor zurückgekehrter Lampertheimer jüdischer Herkunft, der Schriftsteller Siegfried Einstein, von eben den Honoratioren, die Rau einen rauschenden Empfang boten, so übel schikaniert worden war, dass ein Bericht am damligen SDR einen landesweiten Skandal auslöste. Von nächtlichen Klingelstreichen des 24-jährigen Sohns eines FDP-Stadtrats über Beschimpfungen als "stinkigen Jud" bis zu Berufsverbot an der örtlichen Volkshochschule und Zusammenrottungen vor Einsteins Haus, während derer Sprüche wie "Jud, komm runter" ebenso zu hören waren wie das Horst-Wessel-Lied war 1955 alles geboten. Nun hatte Lampertheim eine einschlägige Tradition, hatte es doch nicht ganz zwanzig Jahre vorher stolz verkündet, es sei die "erste judenfreie Kleinstadt". Viel besser sah es aber in Heidelberg auch nicht aus -- damals regierte immer noch Carl Neinhaus, der Bürgermeister, unter dem die Deportationen aus Heidelberg in das KZ Gurs stattfanden (wers nicht glaubt: Neinhaus regierte Heidelberg von 1928 bis 1945 und dann wieder von 1952 bis 1958).
In diesem Sinne schon mal im Vorhinein: Ein gutes Neues.
Nachtrag (30.12.2004): Ekki Duismann aus Veghel in den Niederlanden weist darauf hin, dass der erwähnte Siegfried Einstein nicht ursprünglich aus Lampertheim kam, sondern in Laupheim (das manchen vielleicht durch die Ausfahrten an der A8 bekannt ist) geboren wurde und dort auch begraben ist.