Die Uni legt Musterprüfungsordnungen für die Erben der Magisterstudiengänge vor
Als der UNiMUT im Jahr 2002 zum ersten Mal vor dem Bologna-Prozess warnte, wurde das Thema allenfalls im Senatsausschuss für internationale Beziehungen heiß diskutiert. Danach passierte in Heidelberg lange nichts in dieser Sache, das Rektorat war ganz in Managermanier damit beschäftigt, Verwaltungsstrukturen zu reorganisieren, sich von der Uni Mannheim Altlasten reindrücken zu lassen und ansonsten Visionen zu haben.
An sich ist das überraschend, denn Bologna heißt: Studis für die Verwertung durch "die Wirtschaft" vorbereiten, was in der Ministersprache "employability" heißt. Eigentlich ein Programm, das exakt in die Ideologie des Rektorats passt. Auch das etwas verbrämter, aber doch sehr deutlich formulierte Ziel der Verkürzung der Studienzeiten, etwa indem die meisten Studis nur einen dreijährigen Bachelor bekommen, liegt ganz auf Linie -- in der ursprünglichen Bologna-Erklärung wird das als die Forderung verkleidet, schon der Bachelor solle "relevant to the European labour market" sein.
Nachdem jüngst auch das Ministerium der Uni Heidelberg bescheinigt hat, sie sei Schlusslicht in Baden-Württemberg, das selbst schon im Bundesvergleich arrère bolognaise [Für die Bachelors unter euch: Schlusslicht in Sachen Bologna, d.S.] ist, ist es jetzt aber auch mit der Schonfrist für die Heidelberger Studis vorbei. Laut dreistufigem Plan des Rektorats sollten zum jetzigen Zeitpunkt bereits drei Rahmenstudienordnungen beschlossen sein und bis spätestens September 2006 die Magisterstudiengänge Bachelor-reif sein. Die Diplomstudiengänge wären demnach im April 2007 dran, zum Wintersemester 09/10 würde dann endgültig niemand mehr zu "alten" Studiengängen zugelassen.
Dieser Plan wird einigermaßen eingehalten: die Rahmenordnung für den Diplomersatz wurde erst letzte Woche im SAL verabschiedet. Da sie nun aber noch im November in den Senat kommt, können die Fakultäten theoretisch ohne dramatische Nacht- und Nebelsitzungen BA-Prüfungsordnungen verabschieden. Dramatisch hingegen ist, dass auch die als "Rahmenstudienordnungen" gestarteten Überleitungskriterien für die Magisterstudiengänge als "Muster-Prüfungsordnung" gelandet sind und es damit offenbar auch ein Bewenden haben soll. Dieser Bezeichnungsunterschied ist in doppelter Hinsicht schlagend: Erstens ist wieder nur eine Prüfungsordnung herausgekommen -- ein Studium wird aufgefasst als auf die Prüfung hinführend, sein Ablauf formuliert als der Erwerb von Voraussetzungen zur Zulassung zur Prüfung. Eine Studienordnung würde hingegen darlegen, welche Kompetenzen vermittelt werden sollen und definieren, wie das wodurch geschieht. Sie wäre nicht nur leichter verständlich, sie würde auch schon bei ihrer Formulierung auf die richtigen Fragen hinführen. Denn in einer besseren Welt ginge es bei einem Studium halt nicht um die Prüfung, sondern ums Lernen.
Dass das Rektorat zweitens ein Muster und keinen Rahmen vorgelegt hat, wird aus anderen Gründen für Verdruss sorgen. Bei den derzeit gültigen Magisterstudiengängen gibt es einen "Allgemeinen Teil" , in dem übergreifenden Bestimmungen für alle Fächer festgelegt sind; in den Ordnungen der einzelnen Fächer sind nur noch die davon abweichenden oder ergänzende Regelungen festgehalten. Vorteil dieses Verfahrens ist, dass Studierendensekretariat, StudienberaterInnen, Mitglieder des SAPA und die Studierenden nur ein Mal verstehen müssen, wie die Prüfung abläuft und nicht für jedes Fach jedes Mal genau die Rücktrittsbestimmungen und die Notenberechnung aufs Neue nachlesen bzw. prüfen müssen.
Obwohl auch bei der bisherigen Organisation falsche Auskünfte vorkommen, ist die Wahrscheinlichkeit jedenfalls geringer als bei rund hundert subtil verschiedenen Prüfungsordnungen, bei denen zudem nicht immer klar ist, ob sie selbst eigentlich rechtlich "in Ordnung" sind. Was passiert, wenn sich jetzt einzelne Bestimmungen einzelner Fächer oder sogar der Muster-PO als rechtlich nicht haltbar oder einfach nur unpraktisch erweisen, könnt ihr euch auch ausmalen: Statt einer Rahmenprüfungsordnung müssen dann Dutzende Einzelprüfungsordnungen durch die Gremien. Natürlich müssten sie das auch sonst, aber man könnte sich dann auf die spezifischen inhaltlichen Fragen des jeweiligen Faches konzentrieren. Falls dann doch noch weitere Vorgaben von "oben" kommen, müssen all diese Prüfungsordnungen -- und nicht nur die Rahmenordnung -- angepasst werden. Passieren wird also auf jeden Fall etwas, alleine, weil sich die Bestimmungen, Eckwerte und Empfehlungen in diesem Bereich etwa so schnell ändern wie das Wetter in Irland.
Der Entwurf der Mustersatzung hätte schlimmer kommen können -- aber auch besser. Er bildet weitgehend verschiedene Empfehlungen des MWK und der diversen Zusammenrottungen von FachministerInnen auf Bundes- und Europaebene ab. Dies beginnt mit einer Betonung studienbegleitender Prüfungsleistungen (§10f) -- ein zweischneidiges Schwert, weil damit zwar einerseits der große Schocker Magisterprüfung wegfällt und also nicht mehr ein paar Stunden im letzten Studienjahr die halbe Note ausmachen, andererseits aber ein permanenter Leistungsdruck aufgebaut wird. Dieser nimmt dadurch zu, dass mensch Pflichtmodule nur ein Mal versauen darf und, so es bei der Wiederholung auch nichts wird, komplett aus dem Studiengang fliegt (§20, 1; fachspezifisch kann es bis zu zwei Mal eine dritte Chance geben). Dem Versuch, dem Schleudersitz durch Uniwechsel zu entgehen, wurde natürlich auch schon vorgebaut. Two strikes and you're out. Ganz sportlich.
Dieser Druck ist Absicht, eine Absicht, die sich auch in den Fristen zur Abschlussprüfung zeigt -- zwischen letzter Studienleistung und dem Beginn der Abschlussarbeit darf demnach maximal eine Woche (!) verstreichen (§16, 3), zwischen der letzten erbrachten Leistung und der mündlichen Abschlussprüfung maximal drei Wochen (§18, 3), insgesamt darf sich die Abschlussphase über nicht mehr als 8 Monate erstrecken. Die Fächer werden einiges an Fantasie brauchen, um bei dieser Hektik nicht ins Schleudern zu kommen. Abweichungen von der Prüfung in Gabba-Tempo will die Muster-PO -- ganz im Sinne der Vorgaben der Bundes- und Europaebene -- nicht zulassen.
Ebenfalls in aller Ruhe von reichlich realitätsfernen und menschenfeindlichen Bürokraten ausgebrütet und vom Rektorat nur pflichtschuldigst umgesetzt ist die absurde in §12, 7 dargelegte relative Notenvergabe, nach der die "besten" 10% ein A, die nächsten 25% ein B, die nächstschlechteren 30% ein C, die folgenden 25% ein D und die schlechtesten 10% ein E bekommen sollen -- ganz schlicht eine sichere Methode, die Studis gegeneinander zu hetzen und zu verhindern, dass sie gemeinsam (und damit effektiv) lernen. Hilf deinem Mitstudi, und du gefährdest deine Note, ansonsten kannst du Murks bauen, so viel du willst, solang die anderen noch schlechter sind, hast du trotzdem ein A. Willkommen in der Zukunft von Hauen und Stechen. Andererseits ist so klar, dass auch in dieser Zukunft in Heidelberg einige Leute -- nämlich exakt 10% -- exzellent sein werden. Bleibt am Ende nur noch die rein praktische Frage, woher wohl die in der Regelung geforderten "zwei vorhergehenden Jahrgänge" kommen sollen, wenn sich die Kurse von Jahr zu Jahr ändern, wie das an der Uni eigentlich die Regel ist (na ja, sein sollte).
Ebenfalls seit Juli hat die Uni auch eine Muster-Prüfungsordnung für Masterstudiengänge, die aus bisherigen Magisterstudiengängen entstehen sollen. Auch hier ist alles voll von Fristen und Rauswurfdrohung. Keine näheren Einsichten gibt das Rektorat dagegen zum Reizthema Zulassung und lässt nur auf eine gesonderte Zulassungsordnung verweisen, für die noch kein Muster vorliegt -- wie weit also der KMK-Beschluss, nach dem nur ein Drittel der Studis zum Master zugelassen werden soll, noch aktuell ist, wird sich weisen müssen. Nebenbei: Der Rektor träumt schon seit langem davon, nach Möglichkeit nur noch Master anzubieten und die popelige Bachelor-Ausbildung anderen Unis zu überlassen. Richtig interessant wird das unter anderem auch, weil für nichtkonsekutive Master (also welche, die nicht direkt auf einen Bachelor aufbauen) auch nach geltender Rechtslage beliebige Studiengebühren genommen werden können.
Fazit: Gewiss, es hätte schlimmer kommen können. Aber auch so sind diese Prüfungsordnungen Grund genug, nochmal einen beherzten Versuch zu unternehmen, den Bologna-Prozess, quasi das Hartz IV der Bildungs-Konterreform, zu stoppen.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 08.02.2006