Die 9/11-Rasterfahndung war illegal
"Männlich, Alter 18 bis 40 Jahre, Student oder ehemaliger Student, islamische Religionszugehörigkeit, Geburtsland oder Nationalität bestimmter, im Einzelnen benannter Länder mit überwiegend islamischer Bevölkerung" -- das waren die Kriterien, mit denen nach Nineeleven die Landespolizeien und das Bundeskriminalamt durch allerlei Datenbestände rasterten, unter anderem auch durch etliche Megabyte aus der Uni Heidelberg. Wie viele davon und welche, ist bis heute unbekannt, das Rektorat verweigert nach wie vor jede Auskunft.
Das ist um so inakzeptabler, als schon vor Jahren die Sinnlosigkeit dieses massiven Eingriffs in das Menschenrecht auf informationelle Selbstbestimmung feststand und eigentlich auch die Unzulässigkeit des Verfahrens klar war. Heute nun hat endlich das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache geurteilt. Geklagt hatte ein Studierender der Uni Duisburg, der wegen seiner marokkanischen Herkunft in die Mühlen der Fahnder geraten war. Der erste Senat des Verfassungsgerichts fand, der Studierende sei in "seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" verletzt worden, weil zwar (leider!) nicht die Rasterfahndung an sich grundgesetzwidrig sei, wohl aber ihre Durchführung vor dem Hintergrund einer im wesentlichen konstruierten, d.h. nicht belegbaren Gefährdungslage, wie sie im Oktober 2001 vorlag:
"Nach diesen Maßstäben darf eine Rasterfahndung nicht schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr ermöglicht werden, denn sie würde zu vollständig verdachtslos und mit hoher Streubreite erfolgenden Grundrechtseingriffen führen, die Informationen mit intensivem Persönlichkeitsbezug erfassen können."
Im Hinblick auf Baden-Württemberg ist das übrigens bemerkenswert, weil der im hiesigen Polizeigesetz stehende Rasterfahndungsparagraph §40 Law-and-Order-mäßig Rasterfahndung schon im Fall der "vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung" zulässt -- unser Polizeigesetz wäre nicht das erste, das vom Verfassungsgericht kassiert würde. Es müsste nur mal jemand durchklagen. Wär das nicht mal ein richtig cooles Semesterprojekt für angehende JuristInnen?
Wie auch immer -- für Nordrhein-Westfalen ist nun klar, welche Daten übertragen wurden (II.1.a.1 im zitierten Urteil). Unis und FHen haben für alle männlichen Personen mit Geburtsdatum zwischen 1.10.1960 und 1.10.1983, die irgendwann in den Jahren von 1996 bis 2001 immatrikuliert waren übertragen:
Es ist kaum damit zu rechnen, dass in Baden-Württemberg Kriterien und Datenkatalog wesentlich anders waren, mithin dürften eure Daten auch dann ans LKA gegangen sein, wenn ihr Christen, Buddhisten oder Moslems seid, solange nur die Uni euch für männlich hält. Die Daten wurden zwar vom LKA wohl schon recht bald gelöscht, aber trotzdem mag es eine gute Idee sein, mal bei LKA und BKA Auskunft über die über euch gespeicherten Daten zu verlangen, wenn die oben zitierten Kriterien auf euch zutreffen.
Die Entscheidung des Gerichts ist wohltuend, selbst wenn sie so gedämpft wie die vorliegende daherkommt und zudem noch mit einem Sondervotum einer Richterin versehen ist, die es ok findet, Millionen von Menschen in Datenmühlen zu kippen, um besonders Unverdächtige ("Schläfer" eben) zu identifizieren. In Zeiten ausufernder veröffentlichter Paranoia und offensivem Bürgerrechtsabbau (Vorratsdatenspeicherung, biometrische Ausweise, Abbau der Trennung von Polizei und Geheimdiensten...) hilft einfach jede mahnende Stimme.
Schade ist allerdings, dass die MenschenrechtsverletzerInnen vom Schlage eines Hommelhoff (ja, der war schon im Oktober 2001 an der Macht...) keinerlei Konsequenzen zu fürchten haben, von verschärften Strafen wegen mangelndem Unrechtsbewusstsein ganz zu schweigen. Eine versehentlich zerdepperte Vase ist eben mal viel schlimmer als ein letztlich offensichtlicher und eklatanter Verstoß gegen elementare Verfassungsrechte.