Kommentar zum Elitepodium

Des Kaisers neue Kleider (12.11.2006)

Des Kaisers neue Kleider - so und nicht anders hätte das Motto der Diskussionsrunde heißen sollen. Als Funktionsträger im durchaus staatlichen Auftrag kam Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Peter Hommelhof die traurige Rolle des Kaisers zu. Herr Dr. Wolfgang Gawrisch wäre am ehesten mit den beiden Betrügern des Andersenmärchens gleichzusetzen. Frau BA Dorothea Kaufmann hatte sich offensichtlich als dumm herausgestellt. Herr Reinhard Lask schien die Stimme der Unschuld zu sein und Herr Prof. Dr. Michael Hartmann dessen Vater. Doch im Gegensatz zum Märchen, flüsterte Herr Hartmann seine Befürwortung nicht, sondern sprach für alle hörbar. Ob das, was er sagte verstanden wurde, wird die Zukunft zeigen müssen. Noch hat das Volk nicht geschrieen. Noch hat es sich nicht dazu entschieden, zu sagen, was es sieht. Man fragt sich, ob es die Augen überhaupt geöffnet hat. Zumindest das anwesende Publikum schien mutig genug geworden zu sein und bekräftigte seine kritische Haltung immer wieder mit lautstarkem Applaus, wenn es darum ging den Verrat anzuprangern, der derzeit am verfassungsrechtlich verankerten Bildungsauftrag begangen wird.

Zur Erinnerung: unter Art. 7 GG Abs. 4 hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet "eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern" nicht zu fördern. Zugegeben, es handelt sich um einen Absatz, in dem es um die Zulassung von Privatschulen geht und um einen Artikel, der das Schulwesen und nicht das Hochschulwesen berührt. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass das dort verankerte Prinzip dem im Art. 3 GG postuliertem Recht auf Chancengleichheit entspricht und auch für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens im Rahmen des Art 75 des GG gilt.

Es gibt gute Bildung in Deutschland. Ohne Zweifel. Es gibt auch elitäre Universitäten in Deutschland. Doch ob diese den Titel Elite-Uni im Sinne einer Harvard-, einer Stanford-, Cambridge-, Yale-Universität oder ENA verdienen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Werden die zur Verfügung stehenden Mittel verglichen, kann nur der Stempel "Etikettenschwindel" aufgedrückt werden. Daran werden auch die 1,9 Mrd. Euro, die im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs in den nächsten fünf Jahren investiert werden, nichts ändern.

Ebenso dreist ist die ganze Diskussion um eine gezielte Förderung von Elite. Es wird so getan, als würde unabhängig vom Geldbeutel nur der begabte Geist gefördert. Als würde im freien und gleichen Wettbewerb der objektiv klügste Kopf prämiert. Das feinste Gewebe gesucht und weiterverarbeitet, um beim Vergleich mit dem Märchen zu bleiben. De facto verschlechtern sich die Bedingungen, das eigene intellektuelle Potenzial zum Ausdruck zu bringen mit dem von Herrn Dr. Gawrisch hoch gelobten Paradigmenwechsel dramatisch, sofern man nicht zur Finanzelite zählt. Gebührenpflichtige Aufnahmetests, Studiengebühren von mind. 500 € pro Semester im Erststudium, bis zu 1.500 € für nichtkonsekutive Masterstudiengänge, Promotionen und Zweitstudiengänge, ab 2010/2011 auch für konsekutive Masterstudiengänge kommen zu den üblichen Lebenshaltungskosten und Materialkosten für's Studium gesetzlich verordnet für alle obendrauf. Der alleinverdiendene Familienvater eines statistischen Vierpersonenhaushalts mit einem monatlichem Durchschnittsverdienst von 3.452 € brutto, vorausgesetzt er war 2005 Angestellter, und nur noch 2.542 € brutto im selben Bezugszeitraum als abhängig beschäftigter Arbeiter, wird es sich sicherlich mehrfach überlegen, ob er seinem vielleicht durchaus talentiertem Sprössling eine Hochschulbildung angedeihen lässt, die über das primäre Ziel sich möglichst schnell selber die nötigen Brötchen verdienen zu können hinausgeht.

Wie gesagt, es existiert in Deutschland schon längst eine Elite. Doch bisher hat man nicht darüber geredet. Vielleicht war der Elitebegriff zu sehr belastet durch die Naziideologie? Das Thema Elite war in Deutschland im Gegensatz zu unseren französischen und angelsächsischen Nachbarn tabu. Ambitionierten Arbeitnehmern gleich welchen Geschlechts begegnet die deutsche Elite tagtäglich in Form der durchaus bekannten "gläsernen Decke", die scheinbar unsichtbar aber dennoch nachhaltig die Mitglieder der deutschen Elite vor denen, die nicht dazugehören, "schützt". Traurig, doch vielleicht psychologisch nur konsequent, dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Kanzler, der es aus ärmlichsten Verhältnissen bis ins höchste Staatsamt geschafft hat, die ganze Elitediskussion in Deutschland losgetreten hat. Es darf bezweifelt werden, dass er die jetzige Entwicklung im Sinn hatte. Womit wir beim nächsten Vergleich wären.

Herr Hommelhoff, Herr Gawrisch seien Sie dessen versichert, wir Geistes- und Sozialwissenschaftler werden uns am begonnen Diskurs beteiligen. Wir werden schon unseren Beitrag leisten, um den gerufenen Geistern entgegenzutreten.

Doch leider müssen selbst wir einräumen, dass unser Erfolg davon abhängig sein wird, ob all die Zauberlehrlinge, Kaiser, grundehrlichen Beamten und Staatsbürger dieser Republik es schaffen, ihre Angst als dumm dazustehen zu überwinden. Ob sie sich trauen werden im Sinne der Solidarität, im Sinne der Nächstenliebe - um im so vehement von Politikern der südlichen Bundesländer gefordertem Bezug zum Christentum zu bleiben -, die sich derzeit verfestigende Spaltung der deutschen Gesellschaft in immer mehr Schlechtergestellte und immer weniger Bessergestellte anzuprangern und zur Besonderheit des deutschen Marktsystems zurückzufinden: der sozialen Komponente.

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