Das politische Klima machts möglich:
Die Einführung von Studiengebühren wurde in der bildungspolitischen Diskussion von neoliberaler Seite intensivst medial vorbereitet, bis diese sich am Ende umsetzen ließ. Derzeit wird an den Hochschulen ausgetest, wie weit sich bei der Verwendung der Gebühren gehen lässt. Eines der jüngsten Beispiele hierfür aus Heidelberg ist die studiengebührenfinanzierte Aufbereitung von völkisch-nationalen Texten, die der Unileitung sogleich eine Pressemitteilung wert war.
In einer Ausstellung am Germanistischen Seminar wird die Korrespondenz aus dem Nachlass von Hans Grimm ausgestellt, der mit "Volk ohne Raum" die Blut-und-Boden-Ideologie des NS entscheidend munitionierte, deren Rasse-Ideologie teilte und auch nach 1945 noch einen an die Person Adolf Hitlers geknüpften Führerkult propagierte wie auch publizierte. Grimm selbst und die Gruppierung völkisch-nationaler Schriftsteller, die dieser in der NS-Zeit um sich versammelte, wird in der Uni-Pressemitteilung eine "oppositionelle Denkweise" zugeschrieben, die sich -- dem Pressetext nach -- vor allem im "Unmut gegenüber den Reglementierungen im Kulturbereich" begründet und diesen zum "Kritiker besonders seiner [i.e. der NS-] Literaturpolitik" macht. Summa summarum -- so das an eine Äußerung Klaus von Delfts anknüpfende Fazit, wird Hans Grimm als "Erscheinung von tragischer Ambivalenz" dargestelllt.
Einmal mehr ist der Unileitung damit eine Pressemitteilung von der Hand gegangen, die als gekonnten Griff ins Klo zu bezeichnen noch euphemistisch wäre. Das Projekt wie die Argumentation müssen bei aufrechten DemokratInnen erhebliche Bauchschmerzen verursachen; Aufarbeitung der Vergangenheit funktioniert anders. Eine Aufarbeitung der Pressemitteilung erscheint daher notwendig:
In der Überschrift und gegen Ende des Textes -- beides für die Wirkung eines Textes nicht unbedeutsame Stellen -- wird Grimm zur "Erscheinung von tragischer Ambivalenz" erklärt. Vom Umstand, dass in der "Erscheinung" mehr die Verklärung als die Erklärung zum Ausdruck kommt, stellt sich die Frage: wie wird die hier genannte "Ambivalenz" gedacht? Der Text bestimmt sie mit dem Wörtchen "tragisch" näher. Einem Wörtchen, bei dem sich PhilologInnen vielleicht an Aristoteles' Poetik erinnern mögen, vielleicht auch an spätere, daran anknüpfende Überlegungen zum Drama. Es ist dies eine Präzisierung, die den Umstand ausdrückt "unschuldig schuldig zu sein". Dies wirft die Frage auf, wo denn die Unschuld eines Denkers aus der NS-Zeit liegen mag, der durch sein schriftstellerisches Werk der Ideologie des Faschismus -- vor 1945 wie auch danach noch -- Vorschub geleistet hat. Eine Frage, die in der PM weniger beantwortet als vielmehr durch weitere haarsträubende Hirnverdrehungen erweitert wird.
Den Schafspelz des oppositionellen Denkers bekommt Hans Grimm -- dies ist das Hauptargument -- vermittels seiner Kritik an den Auswüchsen des NS im Kulturbereich übergestülpt. Die Opposition der Denker macht sich demnach also an deren "Kritik" an Reglementierungen des Faschismus im kulturellen Bereich aus.
Sieht man einmal davon ab, dass sich trefflich darüber streiten lässt, ob in der Barbarei noch Kultur möglich ist, ist das Argument eben eines, dass allgemein eine faschistische Ideologie unterstützt und lediglich "Kritik" an den Auswüchsen der NS-Politik im kulturellen Bereich übt. Als wirkliche Kritik oder gar Opposition lässt sich dies wohl kaum bezeichen, handelt es sich doch um eine Argumentationsfigur, die die allgemeine Norm teilt und allein an den Auswüchsen Tadel übt. Polemisch ausgedrückt wird eben damit einem "normalen Faschismus" der Vorzug vor seinen Randerscheinungen gegeben. Wer hier zur "Opposition" verklärt wird, ist nicht zur Kritik, ja nicht einmal zur inneren Emigration fähig, sondern selbst in der angeblichen "Kritik" noch Turbine des Stroms, in dem er mitschwimmt.
Wie kommt es aber nun zu einem derart blamablem Auftritt? Wie kommt eine solche Verharmlosung und Verdrehung zustande? Gibt es in der Germanistik einen Rechts-Ruck? Das lässt sich -- daraus -- nicht schließen. Es bedarf nicht viel guten Willens, um der Schreiberin wie den am Projekt Beteiligten keine rechtsextremen Tendenzen zu unterstellen, sondern eine, wenngleich fahrlässige, Naivität. Dies macht das Ganze indessen weder zur Lapalie, noch enthebt es uns der Notwendigkeit, darüber nachzudenken, wie die Sache zustande kommen kann. Ein weiterer, weit entscheidender Faktor dürfte einen entscheidenden Teil zu der Sache beigetragen haben: Die Naivität ergibt sich -- wie gemutmaßt werden darf -- systematisch aus tiefgreifenden Veränderungen in der Wissensproduktion und der Arbeit an den Hochschulen.
Der derzeitige Umbau der Hochschulen hat nicht mündige BürgerInnen mit kritischem Bewusstsein im Blick, sondern leistet zunehmend einer Kundenmentalität Vorschub. Studiengebähren, ein auf Verrechenbarkeit zielendes Bepunktungssystem, Noten-Spießruten-Lauf von der Schule an, häppchengerechte Zurichtung von Wissen, Reduktion des Lehrangebots aufs Verwertbares und Orientierung der Studiengänge an "Employability" - dies alles hängt zusammen und es bietet ein Gesamtbild, das die Lern-, Lebens- und Handlungsstrukturen der Lehrenden wie Lernenden beeinflusst. Entlernungsvorgänge und Entmündigungsstrukturen verinnerlichen sich im Bewusstsein aller Beteiligten. Ergebnis ist nicht kritisches Bewusstsein, sondern im Normalfall Naivität. Unfälle, wie im vorliegenden Beispiel, drohen damit zur Regel zu werden. Wissenschaft, die versucht, sich ihrer Verantwortung zu entledigen, ist diese aber damit keineswegs los, sondern ordnet sich der reproduzierten Ideologie unter. Eine permanente Relativierung durch vorgeschobene "Ambivalenzen" ist, indem sie Neutralität nur vortäuscht, eben gerade nicht neutral, sondern entbehrt jeder wissenschaftlichen Redlichkeit.