Germanistik streicht aus Versehen Latein

5 Kohorten in 5 Minuten (08.04.2009)

Am 7. April hat der Senat der Universität Heidelberg getagt. Es handelte sich um eine normale Sitzung mit einer normalen Tagesordnung. Und gerade deshalb lohnt ein Blick auf einen dieser ganz normalen Tagesordnungspunkte einer ganz normalen Senatssitzung: Unter TOP 16 bis TOP 20 werden 4 Prüfungsordungen (POen) aufgeführt, zwei Zulassungsordnungen und zwei Auswahlsatzungen, welche alle in dieser Sitzung abzustimmen waren - nicht zu vergessen die Einrichtung eines neuen Studiengangs.

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Die Verabschiedung derartiger Ordnungen und Satzungen ist nicht ungewöhnlich -- zumal in der letzten Zeit. Dass aber hierfür nur 5 Minuten vorgesehen sind, sollte zu denken geben. Ersichtlich wird diese haarsträubende Zeitplanung anhand der Zahlen am Rand der Tagesordnung. Dort steht oben die zeitliche Terminierung 17.45 und unten 17.50 -- das ist die Zeitspanne, innerhalb derer diese 5 TOPs, also alle diese Ordnungen behandelt und abgestimmt werden sollten - der Vermerk "alle" räumt jeden Zweifel aus. Eine durchschnittliche Bachelor-Prüfungsordnung kann um die 20 Seiten Länge haben, wenn ein Modulhandbuch dabei ist, werden das locker 40 Seiten. Da jede PO für mehrere Studierendengenerationen halten sollte, kann jede von ihnen das Studium von einigen Kohorten von Studierenden bestimmen. Hierfür nur 5 Minuten vorzusehen, ist nur dann nicht gewagt, wenn man wirklich allein auf den rein formellen Vorgang des Abstimmens abgesehen hat. Davon abgesehen, dass es schon dreist ist, 5 Tagesordnungspunkte auf einmal durchzuziehen, ist eine gewissenhafte Bearbeitung eines solchen Tagesordnungspunktes in diesem Zeitrahmen schlechterdings nicht möglich.

Nun mag man einwenden, dass Prüfungsordnungen doch wohl gut vorbereitet in den Senat kommen: Bevor sie dorthin kommen, werden sie schließlich im Senatsausschuss für Lehre und Prüfungsangelgenheiten ( SAL ) behandelt und bei Mängeln gar nicht an den Senat weitergeleitet, sondern an den Fakultätsrat der zuständigen Fakultät zurückgegeben. Der Fakultätsrat hat die PO -- zumindest im Idealfall -- nämlich auch schon einmal beraten und zwar auch erst, nachdem sie in der zuständigen Studienkommission beraten wurde. Und sollte die PO vom SAL an die Fakultät zurückgehen, so kann der Fakultätsrat sie auch erst wieder an die Studienkommission zurück geben.

Wer nun aber meint, dass diese Ordnungen in den anderen Gremien, oder evtl. sogar im Fach selber, sicher gut vorbereitet wurden, irrt. Zumindest bei den meisten Prüfungsordnungen: In vielen Fächern wird in Prüfungsordnungen keine Energie, kein Engagement -- und natürlich erst recht keine Zeit -- gesteckt. Studierende und Angehörige des Mittelbaus müssen auf dieser Ebene nicht beteiligt werden, sie haben erst ab der Ebene der Fakultät Mitwirkungsrechte. Manchmal werden POen auch per Eilentscheid der hierzu Berechtigten ohne Gremienbeteiligung an die nächsthöheren Gremien weitergeleitet oder gleich in Kraft gesetzt. Oder in der Tagesordnung einer Sitzung wird gleich darauf hingewiesen, dass der Vorsitzende nur beschränkt Zeit hat -- und damit durch die Blume gesagt, dass alles, was nicht in der Sitzung erledigt werden kann, per Eilentscheid durchgewunken werden wird.

Gerade vor dem Hintergrund, dass es Fakultäten wie die Fakultät für Mathematik und Informatik gibt, an der es ganze Wochenendworkshops von Lehrenden und Studierenden zur Erarbeitung einer neuen Lehramts-PO gibt, stößt es bitter auf, wenn in anderen Fakultäten die Studienkommission gar nicht erst tagt oder in einer anderen Kommission früher immer nur zwei Stunden tagte, weil die damalige Studiendekanin dann (am Mittwoch...) heim nach Berlin fahren musste.

Verschlimmert wird das Verfahren, indem aus Studiengebühren Leute finanziert werden, die den Fakultäten den Verwaltungsaufwand abnehmen sollen, jedoch vom Fach, der Prüfungsordnung und selbst von Verwaltung keine Ahnung haben -- aber abstimmungsfähige Papiere liefern. Tatsächlich werden Prüfungsordnungen meist als Verwaltungssache abgetan und nicht als das erkannt, was sie sind: Regelungen, die ein sinnvolles Studium ermöglichen sollen und nach denen ein Lehrangebot gestaltet werden kann - und sollte. Offiziell setzen die POen sogar den sogenannten Bologna-Prozess um werden als ein Dokument der Innovationskraft der Uni Heidelberg verkauft -- auf solcherlei medial verbreitete Mogelpackung soll hier lieber erst gar nicht eingegangen werden...

Oft wird darauf hingewiesen, dass an der Beschlussfassung -- also an den paar Minuten Händchenheben im Gremium -- doch auch Studierende beteiligt waren. Ob nun Studierende nichts sagen oder ProfessorInnen oder Angehörige des Mittelbaus - ändert eigentlich nichts, aber die Taktik ist durchschaubar - durch diese Äußerung wird suggeriert, dass die Studiernden in den Gremien an der Erarbeitung beteiligt gewesen wären und den POen zugestimmt hätten. Was seitens der ProfessorInnen oft gar nicht gewollt wird, denn institutsintern wird nicht selten die Bitte der Fachschaft, an der Erarbeitung einer PO mitwirken zu können, damit abgetan, dass die Lehrenden doch viel mehr vom Studium verstünden. Oder - so in der Germanistik - dass es nicht möglich sei, den Emailverteiler, mit dem zu den entsprechenden Treffen eingeladen wird, um die Adresse der FS zu erweitern. Studentische Mitwirkung ist in vielen Fächern nur dann gerne gesehen, wenn sie Entscheidungen, die bereits in Direktorien oder anderen Zirkeln gefallen sind, legitimiert. Studierende sind viel zu oft bei Fragen von Studium und Lehre nur noch als Winkelemente im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenden Beratungsfolklore vorgesehen. Auf die Ausnahmen (s.o.) sei hier ausdrücklich verwiesen - es ginge also nicht nur, es geht auch anders. Leider ist aber auf der letzten entscheidenden Ebene, der Senatsebene, kaum mehr Zeit vorgesehen. Das Rektorat hat bekanntlich andere Schwerpunkte als Lehre ...

Zurück zur Senatssitzung am Dienstag: dort wurde nun eine Romanistik-Master-PO verabschiedet, die de facto finanziell besser gestellte Studierende bevorteiligt. Dies wurde von den Studierenden wiederholt angesprochen -- stieß jedoch nicht auf Resonanz: nun wird nun ein längerer Auslandsaufenthalt vorm Studium verlangt, obwohl klar ist, dass man für solch einen Aufenthalt auch Geld braucht und damit Leute, die nicht so reich sind, dieses Kriterium kaum erfüllen können. Dies in eine Kann-Bestimmung umzuformulieren so die, die es sich nicht leisten können, nicht zu benachteiligen, wurde abgelehnt. Fairerweise muss man sagen, dass einige weitere Härten dank des Einsatzes studentischer Gremienmitglieder gemildert werden konnten -- alle Kritikpunkte jedoch können Studierende nie einbringen, da die Zeit der übrigen Gremienmitglieder hierfür nicht reicht. Auch die Tatsache, dass die meisten ProfessorInnen die Unterlagen vor der Sitzung nicht lesen und nur gucken, wie die KollegInnen des Fachs stimmen, macht eine produktive, zielorientierte Diskussion nahezu unmöglich.

Immerhin können Studierende auf diese Weise auch mal Glück haben: so hat die Germanistik zum Sommersemester ungewollt das Latinum und den Nachweis zweier Fremdsprachen aus ihrer Prüfungsordnung gestrichen -- vermutlich stand es in der copy-und-paste-Vorlage nicht standardmäßig drin. Wer weiß, wie sehr die Lehrenden in der Germanistik das Latinum hochhalten, weiß, dass es keinen stärkeren Beweis dafür gibt, dass diese PO von keinem Professor und keiner Professorin gelesen geschweige denn geschrieben wurde.

Es gab dennoch einige Leute, die ernsthaft glaubten, dass die Germanistik als erstes Fach in Heidelberg die Zeichen der Zeit verstanden hätte und sich als progressives Fach präsentieren wollte, das es den Studierenden frei stellt, ob sie Türkisch, Latein, Isländisch oder gar keine Fremdsprache lernen. Dem war definitiv nicht so: am 8. April hat die Germanistik in der Studienkommission der Neuphilolgoischen Fakultät eine Änderung der PO beantragt und -- selbstverständlich unter Beteiligung der Studierenden -- auch die nötige Mehrheit in der Kommission bekommen (es gab ein paar Gegenstimmen, aber selbstverständlich nur von Leuten, die von solchen Dingen nicht so viel verstehen). Sobald dieser Änderungsantrag am 22. April 2009 im Fakultätsrat und danach im SAL durchgewunken sein wird, wird es einmal mehr im Senat einen TOP "Prüfungsordnungen" geben. Und eine Minute zum Durchwinken.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 08.04.2009