Nur wann - und wozu eigentlich?

Rektor richtet Sprechstunde ein (09.04.2009)

Man soll, so ein bekannter Allgemeinplatz, nicht über die Leute, sondern mit ihnen reden. Fast könnte man meinen, dass der Rektor der Uni Heidelberg - nach ein paar Semestern und einigen Inititativen - auch gemerkt hat, dass man hin und wieder als Rektor mit den Studierenden reden sollte. Doch genaueres Hinsehen zeigt eher, dass wohl nur die Berichterstattung über Mogelpackungen den Rektor - und sei es unbewusst - bewogen hat, so zu tun, als ob er eine Sprechstunde einrichtet. Es bleibt nur unklar, warum und wann eigentlich.

Gespräche

Bernhard Eitel, der Rektor der Universität Heidelberg will mit den Studierenden ins Gespräch kommen und richtet hierzu eine Sprechstunde ein. Dies ließ er den Studierenden am 8. April per Massenmail mitteilen: "Die Sprechstunde findet in diesem Sommersemester am Dienstag, 16. April 2009, von 13:30 -14:30 in meinen Büroräumen in der Alten Universität statt." Man beachte die Abweichung von der ansonsten im akademischen Bereich üblichen Verwendung des Wörtchens "Sprechstunde": die Sprechstunde findet nicht dienstags statt, sie findet an einem Dienstag, am 16. April, statt. Und zwar genau von 14.30 bis 15.30. Das ist aber eigentlich egal, denn einen Dienstag, den 16. April, gibt es 2009 gar nicht. Vielleicht meint der Rektor Donnerstag, den 16. April, oder Dienstag, den 14. April. Oder er meint es gar nicht ernst, aber dann hätte er die Mail am 1. April geschrieben... wie aber zu zeigen sein wird, ist es eigentlich völlig egal, wann die Sprechstunde stattfindet: der Rektor hat den Studierenden ein Zeichen gegeben und dies gilt es zu deuten.

Rechnerisch hat der Rektor also - wir gehen abgerundet nach Eigenangaben der Universität Heidelberg von 27.600 Studierenden aus - also um die 0,002 Minuten oder 0,13 Sekunden pro Studi für ein Gespräch. Unter Gespräch wollen wir im Folgenden, um eine allgemein akzeptierte Definition zu verwenden, "eine begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist", verstehen. Nimmt man "Gespräch" als Textsorte ernst und geht auch davon aus, dass Eitel, der studierte Germanist, der gerne auf seine sehr guten Leistungen im 1. Staatsexamen verweist, es auch ernst meint, wird er in seiner Sprechstunde dann kaum mehr als 8 Studierende empfangen können. Lässt man die Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln weg, vielleicht um die 10 Studierende. Und selbst, wenn man von sehr einsilbigen Gesprächen ausgeht, wird er nie auf über 20 Gespräche kommen - es sei denn, er ließe auch noch die thematische Orientierung weg. Aber so gut kennen wir Eitel, dass er mehr als "Ich Rektor - Du Studi" sagen will. Glaubt der Rektor nun, dass nur so wenige Studierende mit ihm reden wollen? oder will er nur mit so wenigen reden? In der Mail ist von Sprechstundenplätzen die Rede -- um wieviele mag es wohl gehen? Auf jeden Fall kann Eitel nur mit einigen wenigen Studierenden und nicht mit den Studierenden ins Gespräch kommen. Wozu also eine Massenmail? Und warum sollen eigentlich ein paar Studierende zum Rektor in eine Sprechstunde kommen?

Wissenseifer, Neugierde, Engagement, Anliegen und Anregungen

Studierende sind nach Eitels Mail (1.) ein Teil der Universität und tragen als solcher (2.) durch Wissenseifer, Neugierde und Engagement dazu bei, dass die Universität (3.) zur lebendigen Einheit von Forschung und Lehre und damit (4.) zur gelebten universitas wird. Klingt leicht alchemistisch, denn wie genau aus Studis (+ Wissbegierde etc.) und anderen (wievielen eigentlich?) Teilen dann die lebendige Einheit und gelebte universitas wird (und worin der Unterschied liegt), bleibt unklar. Das ist aber auch nicht so wichtig, denn darum geht es gar nicht! Es geht vielmehr darum, dass sich das in neuen Toiletten, Beamern und W-Lan für die Neue Universität materialisiert (vornehm formuliert: in der Sanierung der Neuen Universität unter dem Motto "Dem lebendigen Geist. Neue Universität 2011+"); zumindest "hoffentlich". Was das jetzt genau soll, bleibt auch unklar - aber wir erkennen, dass der Rektor grundsätzlich eine hohe Meinung von Studierenden und der Sanierung der Neuen Universität hat.

Auch ist seine Hoffnung auf diese komplexe, auch im österlichen Kontext nicht ganz nachvollziehbare, Umwandlung von aktiven studentischen Teilen in Einheiten und Leben - und analog in sanierte Gebäude - nicht so stark, dass er alleine darauf setzen würde. Denn eigentlich will er - was bisher also wohl noch nicht geschah - den Anliegen der Studierenden nachgehen und ihre Anregungen aufgreifen. Hierzu bietet er jetzt diese Sprechstunde. Das ist löblich und verdient wie auch der offene Zweifel an seinen einleitenden Ausführungen unseren Respekt. Allein, die Frage bleibt: wie will er in der kurzen Zeit von einer Stunde in 6 Monaten ins Gespräch mit den Studierenden kommen? Und worüber wollte er eigentlich reden? Doch wohl nicht über die längst beschlossene Sanierung der Neuen Universität...

"universitas"

Überlegen wir im Folgenden nicht weiter, worüber, sondern wozu es für den Rektor interessant sein könnte, Gespräche zu führen - denn an allen machbaren Anregungen und Anliegen kann es ihm rechnerisch gar nicht gelegen sein. Hierzu sollten wir uns den ersten Absatz seiner Mail - der nach unserer bisherigen Lektüre funktionslos wäre - nochmals ansehen. Obwohl das Fach Mittellatein in Heidelberg gerade abgeschafft wird, verwendet der Rektor hier ein mittellateinisches Wort - wenn das kein Hinweis ist! Die Rede ist von gelebter universitas. "universitas" steht im Mittelalter für Gemeinschaft oder Zusammenschluss einer erkennbar zusammengehörigen Personengesamtheit - zum Beispiel die Innung der Bäcker oder den Zusammenschluss der Metzger. In den mittelalterlichen Städten gab es viele derartige Zusammenschlüsse, darunter in den Städten mit Hohen Schulen auch die Zusammenschlüsse der Magister und Scholaren. Sie gelten als die Keimzellen der mittelalterlichen Universität. Gegen Ende des Mittelalters steht universitas nach leichter Bedeutungsveränderung dann auch für die Institution bzw. die Gebäude, in denen diese tätig sind. Eitel spricht daher sicher bewusst von "gelebter" universitas, bevor er anschließend auf die Gebäudesanierung am Uniplatz kommt. Er meint also die Menschen - was genau aber kann das heißen?

In Bologna zum Beispiel - wir befinden uns schließlich im sogenannten Bologna-Prozess, daher ist die Assoziation sicher angebracht - in Bologna also umfasste die universitas alle Scholaren (d.h. die Lernenden - die Lehrenden wurden in den collegia zusammengefasst). Aus ihrer Mitte wurde der Rektor gewählt, die Scholaren bezahlten die Lehrenden und legten sogar Lehrinhalte fest. Die studentischen Vollversammlungen stellten eine Art Universitätsparlament dar. So etwas (Stichwort: Verfasste Studierendenschaft (VS)) ist in Baden-Württemberg gar nicht vorgesehen - will der Rektor es etwa einführen? Wohl nicht, denn Bologna-Prozess steht für das Heidelberger Rektorat - und viele andere - bisher dafür, dass der Bildung der Prozess gemacht wird und Studieninteressierte durch feinsinnig unsinnige Auswahlverfahren auch noch von den verbliebenen Bildungsresten fern gehalten werden. Warum das gerade Bologna-Prozess heißt, bleibt - wie so vieles - unklar.

Denn es gibt sogar Vereinbarungen, nach denen im Rahmen des sogenannten Bologna-Prozesses auch Mitbestimmung - Mitbestimmung aller Gruppen an der Hochschule - und neue Formen von Lehren und Lernen angestrebt werden. Dies wird jedoch - wir wollen hier schließlich nicht unterstellen, dass die EntscheidungsträgerInnen, auch wenn sie Gremienunterlagen meist nicht lesen, gar nicht lesen können - ignoriert. Die bestehenden Möglichkeiten der Mitwirkung werden an der Universität Heidelberg nicht dafür genutzt, kontrovers und konstruktiv eine umfassende Reform des Studiums und eine Neugestaltung von Lehr- und Lernprozessen anzugehen - die wenigen Bereiche, in denen dies ansatzweise geschieht, ändern daran insgesamt nichts. Andere Universitäten haben Prorektorate für Studierende oder für das Studium - die Uni Heidelberg hat zwar ein Prorektorat für Lehre und Kommunikation - aber Kommunikation über Lehre findet auf Rektoratsebene nicht statt - vor allem nicht mit Studierenden - deren Beteiligung in Sachen Lehre auf Uniebene kann man vergessen .

Was tun?

Wer meint, dass das ja wohl nicht wahr sein kann und schleunigst zu ändern ist, sollte sich in den Fachschaften engagieren, um Missstände von der Basis an zu bekämpfen oder in eine Hochschulgruppe gehen, sei sie politisch oder religiös, um das ganze grundsätzlich anzugehen. Und wer der Ansicht ist, dass das alles zur Zeit nicht mehr ausreicht und man nicht mehr länger zugucken kann, wie nicht nur in Heidelberg die Bildung vor die Hunde geht, möge folgenden Termin vormerken: Bundesweiter Bildungsstreik vom 15. bis zum 19. Juni. Es gibt zwar Leute, die alle, die daran teilnehmen, als "dumm" bezeichnen, da Streiks angeblich nichts bewirkten oder das Wort "Streik" völlig unpassend sei. Aber dann wäre, wer sich für die erwähnte Sprechstunde des Rektors zu einem Gespräch anmeldet, erst recht dumm. Das soll hier aber nicht weiter diskutiert werden, es kann auch beides dumm sein.

Während die Studierenden aus der Sprechstunde aber von Vorneherein nichts mehr rausholen können, kann man bis zum Bildungsstreik noch etwas gegen die Dummheit tun: indem man sich einarbeitet, mit anderen berät, hier oder dort mitmacht, Aktionen mit vorbereitet und "Bildungsstreik" so mit Inhalt füllt, dass es stimmt. Als erste Maßnahme kann man auch am Montag, den 20. April um 20.00 Uhr zur Vollversammlung in die Neue Uni, Hörsaal 13 kommen (vielleicht vorher noch zur Demo gehen, 18:00, ab Bismarckplatz). Und das wirklich Gute ist: Anmeldung ist beim Bildungsstreik nicht erforderlich, mitmachen können alle!

PS: Wo der Rektor recht hat, hat er recht: ohne das Engagement der Studierenden ist die Uni irgendwie leblos...

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