Die Graswuzelbewegung kommt in die Jahre, aus Graswurzeln werden ziemlich verholzte Stämme. Nach fünfzehn Jahren in den Parlamenten jedenfalls haben die Grünen offenbar ziemlich viel von ihrer libertären -- auch anarchistischen -- Vergangenheit vergessen. Und das offenbar auch in Fragen der Hochschulpolitik, wie mensch schon ahnen wollte, als die Grüne Hochschulgruppe in Tübingen jüngst Studiengebühren vorschlug (UNiMUT akutell berichtete). Um nun noch eins draufzusetzen, hat Matthias Berninger, wie Erzrealo Joschka Fischer für den Hessischen Landesverband der Grünen im Bundestag, jetzt ein Papier zur Hochschulreform verfasst. Vorneweg: Ein Bild sagt mehr als die sechs mal tausend Worte jenes Papiers (ich gebe zu, das ist ein ganz blödes Klischee).
Mensch ahnt jetzt schon, der Kampf durch diese 51 Kilobyte Text lohnt nur für Menschen, die noch Argumente suchen, nächstes Mal nicht die Grünen zu wählen. Nach den ersten paar Sätzen war der Redakteur jedenfalls überzeugt, dass die Unix-Programme grep und wc genau die richtigen Werkzeuge zur Analyse dieses Textes sind. Ein paar Ergebnisse: Berninger plädiert neunzehn Mal für Wettbewerb, schwadroniert an zehn Stellen von Flexibilität und freut sich zu elf Gelegenheiten über die "Globalisierung". Satte zwanzig Mal interessieren ihn Eliten. Viel mehr braucht nicht gesagt zu werden, Berninger hat der Flut Dummschwätzpapieren, die sich in einer Reihung von sinnfreien Klingelwörtern gefallen, ein weiteres hinzugefügt. Und das ist nur deshalb bemerkenswert, weil ja die Grünen vor fast zwanzig Jahren gegründet und inzwischen millionenfach gewählt wurden in der Hoffnung, dass Politik wieder etwas anderes wird als Daherplappern hohler Phrasen.
Ein paar anekdotische Anmerkungen seinen dem Autor aber trotz dieses Verdikts erlaubt: Nachdem mensch in dem Papier vergeblich nach dem Begriff Mitbestimmung sucht, war schon zu erwarten, dass Berninger sich nicht sonderlich für Fragen von verfassten oder sonstigen Studierendenschaften interessiert -- mit einem Hammer vom Kaliber "Daß starke Führung demokratiekompatibel ist, wissen wir in Bonn." (Abschnitt 3.1, erster Absatz) war aber doch nicht zu rechnen. Wobei allerdings Berninger mit Jürgen Siebke, unserem Rektor für das nächste Jahrtausend und Klaus Trotha, unserem Minister für Tausend Mark Gebühren, übereinstimmt, dass Unis ohnehin keine Demokratie brauchen: "Die Gruppenhochschule ist nicht demokratisch, weil sie Gruppenhochschule ist." (Abschnitt 3.1., zweiter Absatz), ein Konzept, das ohne die Studi-Mittelbau-Prof-Hierarchie auskommt, kann Berninger aber nicht erkennen. Er sucht es auch nicht.
Besonders herzig Berningers Bekenntnis zu "Eliten". "Innovationseliten" fordert er, Basisdemokratie ist out, die Gesellschaft will geführt werden, und zwar von Spitzen-WiWis (Berningers Bundestags-Datenblatt verrät übrigens, dass er selbst Politik und Chemie auf Lehramt studiert). Diese wiederum sollen an einer Eliteschule mit dem tollen Namen "Frankfurt School of Economics" ausgebildet werden und eine europäische Antwort auf die Herausforderung durch die Monetaristen Marke Harvard und Chikago finden.
Graswurzel ade -- oder doch nicht? Berninger jedenfalls glaubt, sein Geschwätz sei in Abgrenzung zum Feindbild der "sozialpolitisch überfrachteten und gesellschaftspolitisch überhöhten sozialdemokratischen Bildungspolitik" auf der libertären Seite, verteidige die Autonomie der Menschen. Und in der Tat gibt es, wie in den Anarchy FAQ nachzulesen ist, gerade in den USA einen ganzen Haufen Leute, die glauben, die wahrhaft anarchistische Gesellschaft sei nur über einen Markt zu organisieren. Das wäre dann allerdings die Anarchie, vor der dem Redakteur (und auch den GraswurzlerInnen in seinem Bekanntenkreis) graust.
Fußnote zum Thema Klischee: Die von
uns allen als Gralshüterin bundesdeutscher Demokratie geschätzte FAZ
hat in ihrer Ausgabe vom 7. März die jüngsten Ereignisse in Albanien
auf eine Weise kommentiert, die unser Yuppie-bashing von oben mild
und sanft erscheinen lassen. Ein paar Zitate:
Die Blutrache, eine vorzivilisatorische Form der Gerechtigkeit, die einige Kult
uren bis heute
begleitet [...], meldet sich in Albanien ebenso wieder zu Wort wie andere Verhaltensmuster, die weit
in die Geschichte und Vorgeschichte zurückreichen [...]
Wie viele Völker auf dem Balkan sind auch die Albaner geschult in der Fertigkeit, Banden zu bilden. [...]
Das Bandenwesen, dazu geheimbündlerische Traditionen, die rund um das Mittelmeer anzutreffen
waren und sind, bildeten auch die Grundlage für das balkanische Partisanentum im Zweiten Weltkrieg...
Preisfrage jetzt: Was war die Grundlage für das zivilisierte Soldatendisziplinehrentum derer, gegen die
sich jene vorzivilisatorischen balkanischen Partisanen zur Wehr setzen?
Dieser Artikel wurde zitiert am: 28.03.2003