Folgender Leserbrief erreichte uns von einem Mitglied der Grünen Hochschulgruppe in Tübingen:
Der UNiMUT ist sicherlich eine der letzten Bastionen der reinen Lehre. Unlängst durfte man allerdings einige Sätze lesen, die in einem Sinn an Bert Brecht erinnern, der den Redakteuren kaum gefallen dürfte. Zu den Ergebnissen einer Umfrage unter Studierenden hies es da "erschreckenderweise fand fast ein Viertel der befragten Studis Gebuehren voll ok". Und nach der erstaunlichen Analyse, dass überrepräsentativ viele Befragte auf das Treuhandkonto eingezahlt hatten, hieß es: "Was so ein (gemeint ist: repraesentativer) Sample zu schlucken bereit gewesen wäre, will ich lieber gar nicht wissen." Brecht hat dazu geschrieben, die Politiker sollten sich ein neues Volk wählen, wenn sie mit seiner Meinung unzufrieden sind. Es scheint, die Redakteure des Unimut unterliegen derselben Notwendigkeit.
In der Tat ist davon auszugehen, dass eine breite Mehrheit der Studierenden bereit wäre, Studiengebühren zu zahlen, wenn zwei Grundvoraussetzungen erfüllt wären, nämlich soziale Verträglichkeit und Verwendung der Gelder fuer eine bessere Ausstattung der Universitäten und eine qualitative Aufwertung der Lehre.
Die letzten Reste der Revolution, die das Auftreten der Studierenden in der Öffentlichkeit maßgeblich prägen und anscheinend auch den UNiMUT fest im Griff haben, wehren sich gegen diese Erkenntnis mit Händen und Füßen und schrecken, wie Markus Demleitner, auch nicht vor ueblen Kampagnen zurueck.
Der Hochschulpolitische Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, Matthias Berninger wird zum Verfasser von "Dummschwätzpapieren" degradiert und der locker-flockige UNiMUT-Redakteur schreckt auch nicht davor zurueck, ein im Internet verfügbares Bild von Berninger als Beleg fuer dessen Politikunfaehigkeit zu präsentieren. Zitat: "Ein Bild sagt mehr als die sechs mal tausend Worte jenes Papiers."
Ähnlich rüde wurde die Grüne Hochschulgruppe Tübingen wegen ihres Vorstoßes in Sachen Studiengebühren im Februar angegangen. Unter der Überschrift "Tübingen läuft Amok" war dort zu lesen, dass die Grünen mittlerweile zu der Überzeugung gelangt seien, "dass sich Leistung halt wieder lohnen muss und also die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden muessen. Klar, da muss man den Reichen die Möglichkeit geben, sich aus der solidarischen Finanzierung der Hochschulen zurückzuziehen."
Es ist bedauerlich, dass so mancher Gralshüter linker Lehre - nachdem die SPD als Heimat verloren gegangen ist und nun die Realo-Grünen zum Feindbild erklärt werden, bleibt ja wohl nur noch die PDS - die Fähigkeit zu differenzierter Analyse verliert, wenn es um Studiengebühren geht. Der Vorschlag der Grünen Hochschulgruppe hätte eine solche verdient gehabt. Der Idee nach gehen Studierende in dem zitierten Vorschlag eine Zahlungsverpflichtung von 1000 DM pro Semester ein, die jedoch nur eine Rechengröße ist und sich auf das durchschnittliche Akademikereinkommen bezieht. Realiter zahlt man nach der Beendigung des Studiums pro 1000 DM 0,066% seines Bruttoeinkommens über 25 Jahre, so dass ein Spitzenverdiener bis zu 30 000 DM Studiengebühren zahlen muß während die unteren Einkommensgruppen deutlich weniger als 12 000 DM zahlen und das Existenzminimum völlig freigestellt ist. Eine Verzinsung findet nicht statt, ein Verschuldungsrisiko besteht nicht, nur wer gut verdient zahlt auch, der materielle Nutzen des Studiums findet eine angemessene Berücksichtigung.
Überdies war der Vorschlag in ein Netz von Vorbedingungen eingebunden, zuvörderst die Einführung des von Ultralinken innig gehassten BAFF (Bundesausbildungsförderungsfonds), der von den Grünen vorgeschlagenen Alternative zum mittlerweile völlig entkernten BAFöG. Das BAFF erlaubt jedem Studierenden nach freier Entscheidung und ohne Antrag die Entnahme von 1000 DM pro Monat aus einem Topf, der aus zwei Quellen gespeist wird: Erstens der Streichung aller bisherigen staatlichen Leistungen für Studierende von Kindergeld bis BAFöG, und zweitens einer Rückzahlung, die exakt nach den Modalitäten verlauft, die für das Modell nachlaufender Studiengebühren der Grünen Hochschulgruppe Tübingen verwendet wurden. Weitere Bedingungen waren eine Demokratisierung der Hochschule - wer zahlt, muß auch mitbestimmen können, was mit dem Geld passiert - und die Verwendung der neuen Mittel fuer die Hochschulen, nicht zur Sanierung des Landeshaushalts.
Die linke Kritik hat sich bis heute nie die Mühe gemacht, einen Standortvergleich durchzufuehren. Würde das BAFF+nachlaufende Studiengebühren-Modell realisiert, stuenden wir Studierenden nämlich bedeutend besser da als heute. An die Stelle des BAFöG, das nichts mehr taugt, würde eine elternunabhängige bedarfsdeckende Finanzierung der Kosten des Lebensunterhalts treten, die den heute existierenden sozialen NC abschaffen könnte. Die Universitäten hätten mehr Geld für die Lehre zur Verfügung, die Studierenden mehr Mitspracherechte und in der Öffentlichkeit muesste man sich nicht gegen den fatalen Eindruck zur Wehr setzen, die Studierenden nutzten den Steuerzahler aus und seien unsolidarisch.
Die Ultralinke hat sich stattdessen auf Schlagwort-Kampagnen beschränkt. Bildung muß kostenfrei sein, heißt es lapidar. Das BAFF, so wird kritisiert, entlasse den Staat aus seiner Verantwortung und Studiengebühren stellten generell eine soziale Sauerei dar. Wie gezeigt gilt dies nicht fuer nachlaufende Studiengebühren, die sozialverträglich gestaltet werden können. Bei der Kritik am BAFF wird geflissentlich übersehen, dass die "Reichen", die nichts aus dem Topf entnehmen und also auch nichts zurückzahlen, damit auf Zuschüsse in Hoehe von 500 DM verzichten (Kindergeld/-freibetrag), die sie bisher nach dem Gießkannenprinzip auch als Millionärstöchter erhalten haben. Die wirklich Reichen finanzieren die Armen also stärker mit als bisher!
Welche Ergebnisse die Betonkopf-Mentalität der Ultralinken zeitigt, dürfen nun alle Studierenden auskosten: Der Landtag wird schon bald Studiengebühren für sogenannte Langzeitstudierende verabschieden und die Studierenden sehen ohnmächtig zu. Die Schuld liegt natürlich bei den feinen Herren mit dem Adelstitel im Ministerium und ihrer konservativen Gefolgschaft, aber das Auftreten der Studierenden in der Manier des Markus Demleitner hat leider verhindert, effektive Strategien gegen diese Entwicklung, die mit Sicherheit in allgemeinen, sozial absolut unverträglichen Studiengebühren enden wird, zu verfolgen.
Es ist bedauerlich, dass ideologische Verbohrtheit dieser Art die Ultralinken daran hindert, die Intention des Vorstoßes der Grünen Hochschulgruppe Tübingen zu realisieren, nämlich gerade die unsozialen und kontraproduktiven Studiengebühren, zu verhindern.
Wir hätten eine Chance gehabt, durch eine effiziente Kombination aus Boykott, Öffentlichkeitsarbeit und Verhandlungsgeschick die jetzt anstehenden Beschlüsse und eine bereits absehbare Erhöhung der 100-DM-Gebühr zu verhindern!
Boris Palmer, Mitglied der Grünen Hochschulgruppe Tübingen,
AStA-Referent fuer Umwelt und Verkehr an der Universität Tübingen
http://www.uni-tuebingen.de/uni/qfa/
e-mail: boris.palmer@student.uni-tuebingen.de
Kurze Stellungnahme: Zuallererst ist aus dem Umstand, dass mein Name unter den UNiMUT-Seiten steht, nur abzuleiten, dass ich sie betreue; im Einzelfall können die Artikel von ganz anderen Leuten geschrieben sein. Mit den angesprochenen Artikeln stimme ich aber weitgehend überein.
Das Brecht-Zitat sollte nach meiner Auffassung eher "Wäre es da nicht besser, wir würden aufhören, den Leuten mit alberner Standort-Propaganda Angst zu machen und erzählten ihnen, was wirklich los ist an den Unis?" heißen -- denn das ist das fundamentale Problem all der jüngeren Äußerungen der Grünen zum Thema Hochschule: Über dem Entwerfen leerer Worthülsen und wortgewaltiger Finanzierungskonzepte übersehen sie, dass die Unis in Wirklichkeit gegen ganz andere Wände fahren, wozu wesentlich die feudalistische Struktur und ein völlig antiquiertes Konzept (Stichworte: Berufsausbildung, Frontalunterricht, Gängelung der Studis) beitragen. Wer das nicht zentral behandelt, kann m.E. seine Reformpapiere gleich dem Reißwolf überantworten. Die materiellen Fragen sind letztlich Machtfragen, und die werden durch noch so viele Reformpapiere nicht beantwortet, sondern nur dadurch, dass Studis und sonstige Mitglieder an ihren Unis etwas haben, das sie ernsthaft gegen Angriffe verteidigen wollen. Das ist im Augenblick wohl nur in Ausnahmefällen so.
Weiter ist die FSK und damit auch der UNiMUT sicherlich nicht ultralinks, ob ich es bin, dürfen wohl Menschen beurteilen, die mich besser kennen. Die Aussagen in den betreffenden Artikeln wird allerdings nur als ultralinks brandmarken (?) können, wer sich längst aus dem sich noch so diffus als links definierenden Spektrum verabschiedet hat. Mensch braucht auch nicht unbedingt ultralinks zu sein, um das BAFF abzulehnen (von Hass kann angesichts der grünen Chancenlosigkeit, diese Dystopie auch durchzusetzen, keine Rede sein); Nachdenken und einiger Abstand von rein taktisch orientertem Handeln reicht. Ähnliches gilt für die "nachlaufenden Studiengebühren": Mögen sie sozialverträglich sein, eine Diskussion über Studiengebühren ist jedenfalls nicht angesagt, und der Effekt nachlaufender Studiengebühren ist mit erheblich weniger Bürokratie durch schlichte Einkommens- und Vermögensbesteuerung zu erreichen -- nur klappt es dann halt ein bisschen schlechter mit der Leistung, die sich wieder lohnen soll.
Der Vorwurf wegen des Bildes und der tausend Worte zieht natürlich. Aber andererseits möchte ich sehen, wer der Versuchung, sich über eine so perfekte Übereinstimmung von Klischee und Wirklichkeit lustig zu machen, widerstehen könnte. Abgesehen davon ist die ironische Brechung dieses Satzes durch die zugehörige Fußnote wohl mehr als klar.
Den letzten Absatz finde ich unter so einem Brief schlicht lächerlich. Traurig hingegen von einem Grünen der Absatz über die Heimstätten der Gralshüter linker Lehre: Für mich -- und auch für einen Großteil der FSK -- spielt sich Politik nicht in Parteien ab; es geht um Inhalte und nicht um Fahnen oder Plakate, hinter denen sich irgendwer versammelt. Die Grünen haben das mal ganz ähnlich gesehen, damals, als Basisdemokratie noch das große Ziel war, als die Köpfe von den Plakaten verschwinden sollten und Berufspolitiker gleich wieder aus ihren Ämtern rausrotiert wurden (woraufhin sie sich in der SPD wiederfanden...)
Markus Demleitner