Zwangsarbeit? (27.02.99)

Seit Jahrzehnten wird an deutschen Unis der Mittelbau ausgedünnt -- was einerseits die Perspektiven von Menschen, die sich eine Existenz in der Wissenschaft basteln möchten, auf Prof oder Sozialfall reduziert, andererseits aber auch Löcher in der Lehre hinterlassen hat. Bisher wurden diese typischerweise mit wissenschaftlichen Hilfskräften gestopft, die auf Zeitvertägen Übungen, Tutorien, Praktika und dergleichen betreuten. Nun aber müssen auch die DoktorandInnen eilen, denn von der einen Seite droht der Trothatausi (nach vier Semestern Doktorarbeit sind offiziell Langzeitstudiengebühren fällig), von der anderen Seite schallen penetrant die Stimmen, die vom schnellen Studium schwadronieren. Dazu kommt, dass sich ohnehin immer weniger Studis auf die Promotion einlassen -- wieso auch, wenn mensch als WissenschaftlerIn mit 40 das große Arbeitslos ziehen wird und bis dahin für wenig Geld viel Stress hat.

Das Ergebnis: Die Fachbereiche sind in zunehmenden Schwierigkeiten, die Lehre aufrechtzuerhalten. Case in point ist die Fakultät für Physik und Astronomie, die das Dilemma fehlenden Personals besonders hart trifft. Was anderswo Seminare und Hausarbeiten, sind dort die Übungsgruppen, und wenn sich für diese keine BetreuerInnen finden, weiß niemand mehr, wer sich einen Schein verdient hat. Und das wäre ja schade.

Also greift das Dekanat zur Notbremse. Die DoktorandInnen der Heidelberger Astronomischen Institute bekamen am Freitag einen Brief, in dem zu lesen stand, "die Beteiligung der Doktorandinnen und Doktoranden an den Lehraufgaben der Fakultät" sei "kürzlich erneut diskutiert worden" -- mensch beachte den geschickten Einsatz des Passiv --, und die Ergebnisse der Diskussion sollten den Betroffenen jetzt mitgeteilt werden. Namentlich: DoktorandInnen haben jetzt ein "Semesterdeputat", ja sogar gleich zwei davon. Konkret heißt das, dass sie zwei Mal entweder ein Semester lang eine Übung oder ein Praktikum betreuen oder ein Blockpraktikum übernehmen. Und dann wird es noch lustiger: "Bei der Anmeldung zur Dispuation ist die Mitwirkung in der Lehre nachzuweisen." Das soll wohl so verstanden werden, dass, wer sein/ihr "Semesterdeputat" nicht erfüllt, gar nicht erst geprüft wird.

Aber das ist natürlich Unfug. Ohne Änderung der entsprechenden Prüfungsordnung ist eine solche Forderung, selbst wenn sie vom Dekan kommt und als Zumutung getarnt ist, nicht mehr und nicht weniger als eine freundliche Bitte. Und dieser Bitte muss niemand nachkommen. Ehrlicherweise kann dieses Nachkommen auch nicht empfohlen werden. Es ist wirklich nicht einzusehen, warum ausgerechnet DoktorandInnen die Suppe auch noch bis unter den Tellerboden auslöffeln sollen, die sich die Uni in Jahrzehnten nachgerade idiotischer Politik eingebrockt hat.

Als würde es nicht ausreichen, dass DoktorandInnen, so sie nicht immatrikuliert sind, überhaupt keine Vertretung an den Hochschulen haben (und auch sonst nur das bisschen, das Studis hier so zugestanden wird), dass ihre Stellen immer weiter zusammengestrichen und sie ins soziale Nichts der Graduiertenkollegs verbannt werden, dass ihre Perspektive in der Wissenschaft gleich null ist, dass sie vielfach mehr Arbeit für ihre BetreuerInnen leisten als für ihre eigene Dissertation... die Liste könnte noch eine Weile fortgesetzt werden. Als Extra scheint Dekan Eisele auch noch keinen Gedanken an den Umstand verschwendet zu haben, dass viele DoktorandInnen von Stipendien leben, die ihnen eine so umfangreiche Nebentätigkeit wie eine Praktikumsbetreuung untersagen.

Kurz: Mal wieder ein undurchdachter Schnellschuss, geboren aus Panik, entworfen in Unkenntnis, gemacht für die Schublade. Erschütternd nur, dass immer wieder genau die, die mit Macht auf den Graben zugehalten haben, nach dem Krach (oder kurz davor) groß dabei sind, Seile zu verteilen. In diesem Fall allerdings waren es noch nicht mal Bindfäden.

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