Universitätsbibliothek geht den Mensaweg (18.01.00)

Seit Anfang Oktober 1999 werden die Studierenden durch das Studentenwerk Heidelberg beim Mensaessen mit einer an dieser Stelle überflüssigen Digitaltechnik einer Fremdfirma gequält. Der Hersteller entwickelt und verkauft laut eigener Homepage hauptsächlich Kaffeeautomaten in Kombination mit Heißgetränke-, Süßwaren- und Snackautomaten und preist sein elektronisches Zahlungssystem mit den Worten an, dass dieses System mehr Sicherheit, mehr Zahlungskomfort und niedrigere Kosten bei der Verwaltung bewirken soll. Alle drei Argumente sind wohl hinreichend widerlegt und bis heute sorgt die sogenannte MensaCard für lange Warteschlangen an den Essensausgaben und umständliche, unflexible Aufladeprozeduren. Dass die Verwaltungskosten keineswegs sinken, musste die Leitung des Studentenwerks Karlsruhe nach einigen Jahren MensaCard-Erfahrung vom gleichen Hersteller schmerzlich feststellen (nachzulesen im UNiMUT Nr. 178).

Die Universitätsbibliothek (UB) schickt sich nun offenbar an, es den Mensen gleichzutun, das ist zumindest der Eindruck, der nach einer Woche Arbeit mit dem neuen Recherchewerkzeug "Heidi 2000" entsteht. Die "alte Heidi" war dringend renovierungsbedürftig, war sie doch unmittelbar vom Jahr 2000 Problem betroffen und restlos veraltet was beispielsweise die Anbindung an den Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) betraf. Mit dem Einrichten eines neuen Recherchewerkzeugs wurde jedoch viel zu lange von Seiten der UB-Leitung gewartet, wie BibliothekarInnen aus einigen Institutsbibliotheken wissen. Nach einigen Überlegungen wurde beschlossen, das Bibliothekssystem der Firma SISIS GmbH zu implementieren. Ab Anfang Dezember 1999 war dann zuerst die Fernleihe vorrübergehend abgeschafft und gegen Mitte Dezember wurden die persönlichen NutzerInnendaten "eingefroren". Von da ab war keine Ausleihe, Rückgabe oder Verlängerung mehr möglich. Alle fieberten erwartungsvoll dem 10. Januar 2000 entgegen, dem Termin, an dem die "Neue HEIDI" voll funktionsfähig und mit besserer, benutzerInnenfreundlicherer "Schnittstelle" zur Verfügung stehen sollte.

Doch es kam ganz anders als erwartet, denn die neue Schnittstelle war erstmal so ziemlich garnicht erreichbar. Dies hatte sehr wahrscheinlich mit der dramatischen Überlastung am Anfang zu tun, als viele Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und ProfessorInnen das neue System ausprobieren wollten. Ganze Tage lang war keine WWW-basierte Recherche möglich, die unterschiedlichtsten Fehlermeldungen wurden angezeigt. Der Artikel hier möchte allerdings nicht auf die Anfangsschwierigkeiten eingehen, die der UB gerne eingestanden werden. Dieser Artikel beschäftigt sich vielmehr mit dem Design der neuen HEIDI-Schnittstelle, wenn es wer geschafft hat, sich erfolgreich einzuloggen.

Der erste Kontakt zu HEIDI führt zur Auswahlseite der möglichen Ausleihstellen, eine Seite die für die normale Recherche erstmal überflüssig ist und erst in einem viel späteren Zeitpunkt abgefragt gehört. Schon hier wäre es sinnvoll die Standardsuche oder Expertensuche durchführen zu können. Aber es soll anders gehen: Mit der Auswahl der Ausleihstelle wird jeder/m HEIDI-NutzerIn eine sogenannte tag-Nummer zugeordnet ("sichtbar" in der URL), die nur ein zeitlich befristetes Arbeiten an HEIDI zulässt. Wer also das Browserfenster offen lässt und nach der ersten Buchrecherche kurz weiterarbeitet und danach noch ein Buch abfragen will, erhält die Meldung "Die Verbindung zum Server wurde wegen Zeitüberschreitung abgebrochen. Bitte Starten Sie eine neue Sitzung von der webOPAC homepage." Danach wird ein Link auf die Katalogseite angeboten und die ganze umständliche Prozedur beginnt von neuem. Wer es nun von der Auswahlseite für die Ausleihstelle weiter schaffen will, der muss unbedingt JavaScript installiert haben, auch wenn die UB-Seiten nirgendwo darauf hinweisen. JavaScript ist eine unsichere und letztlich unnötige HTML-Erweiterung der Firma Netscape, die Programmcode, eingebettet in HTML, auf dem eigenen Rechner durchführt. Der bekannte bulgarische Programmfehler-Jäger Georgi Guninski fand heraus, dass es mit JavaScript die Möglichkeit gibt, die lokale Festplatte anderer auszuspionieren wenn beispielweise der Internetexplorer 5 von Microsoft benutzt wird. Ohne dieses JavaScript-"Feature" ist der OK-Button nicht auswählbar und die Links zur Standardsuche, ExpertInnensuche, Verlängerung, BenutzerInnendatenanzeige, etc. werden lediglich in grau dargestellt. Eine Recherche ausschliesslich mit eingeschaltetem JavaScript ist für eine moderne und benutzerInnenfreundliche Bibliothek sehr ungebührend: Alle WWW-Browser die etwas älter sind oder bei denen JavaScript aus berechtigten Sicherheitsbedenken ausgeschaltet ist, bleiben aussen vor. Ebenso von HEIDI ausgeschlossen bleiben die von einigen NutzerInnen favorisierten Textbrowser wie Lynx (keine Graphik- nur Text-Übertragung), auf denen es sich sehr schnell und konzentriert mit Datenbanken arbeiten lässt. Studierende von zuhause bleiben auch meist aussen vor, haben sie aus Geldgründen selten den neuesten Technik-Hype installiert, von alten Instituten in Heidelberg, den ausländischen Universitäten und anderen Institutionen ganz zu schweigen. Dass es locker auch ohne JavaScript geht beweissen viel leistungsfähigere Datenbanken wie beispielweise die berühmte altavista, der schicke Google oder wissenschaftliche Datenbanken mit astronomischen Ausmassen.

Hangeln wir uns trotz allen Sträubens gegen JavaScript nun weiter zur Seite mit der Standardsuche, erhalten wir drei Suchfelder, in die wir ein Titelstichwort, einE AutorIn und/oder die Bibliothek eintragen können. Mit dem Button "Start Suche" (welch ein Deutsch, nebenbei bemerkt) erhalten wir nach einiger Zeit das Ergebnis unserer Anfrage, die Antwortzeit verglichen zur alten HEIDI kann locker um den Faktor 10 steigen, was hauptsächlich mit der Netzbelastung zu erklären ist. Wer nicht weiss, was das Eingabefeld Bibliothek bedeutet, erfährt auf einer weiteren Seite, dass hier die Eingabe eines zweistelligen Institutskürzels nötig ist, und damit die Suche nur auf eine spezielle Fachbereichbibliothek (soweit deren Bestände erfasst sind) eingeschränkt werden kann. DieVollanzeige des Suchergebnis zeigt dann das ausgewählte Buch detailiert an. Es stört allerdings die nicht sehr platzsparende Seitengestaltung, was erst dann hinderlich auffällt, wenn das Suchergebniss ausgedruckt werden soll (hier stört permanent die linke Menüleiste) oder auf einem kleinen Monitor immer wieder hoch und runter beziehungsweise hin und her gescrollt werden muss. Praktisch ist die Suche nach Titeln von (Ko-)AutorInnen, die direkt als Buttons im detailierten Suchergebnis auswählbar sind. Die Expertensuche erlaubt die Verwendung Bool'scher Operatoren und Platzhalterzeichen. Bei der Anzeige der Suchergebnisse ist positiv anzumerken, dass detailierte Informationen gegeben werden über die Einordnung des Werks in eine Gesamtaufnahme, eine Serie/Reihe oder einen Band.

Wie schaut es an andern Bibliotheken aus, zum Beispiel an der Universiät Frankfurt? Dort ist auch ein webOPAC-Server in Betrieb und der ist wirklich mustergültig konfiguriert. Es lohnt sich ein vergleichender Blick denn schon ganz zu Beginn der Recherche wird der/die NutzerIn mit einem Button vor die Entscheidung gestellt, ob er/sie unbedingt JavaScript und Frame-Technologie einschalten will. Tut er dies, ändert der Button auf der nächsten Seite gleich das aussehen und es lässt sich hier das ganz auch wieder abstellen. Selbst Browser die keine Frames verstehen werden korrekt darauf hingewiesen, dass sie sich ab jetzt zwischen den einzelnen Frames entscheiden müssen. Neben dem deutschen Hinweis, werden auch die holländisch Sprechenden mit dem Hinweiss "Dit document is een framesdefinitie" bedacht. Überhaupt ist die folgende Recherche multilingual, neben Englisch gibts auch noch Holländisch, ein kleiner Hinweis darauf, dass die Herstellerfirma Pica in den Niederlanden sitzt und sich mit wirklich durchdachten Bibliothekssystemen beschäftigt. Zwar wird mensch hier auch an eine Zeitbegrenzung ermahnt (aus Gründen wird das weiter unten noch klar werden), aber es müssen bei Zeitüberschreitung nicht wieder viele Seiten durchgeklickt werden. Ganz allgemein ist eine ausreichende Erklärung der Seiten oft direkt vorhanden und muss nicht erst über ein zweites Hilfefester erfragt werden. Selbst der gerngesehene Telnetzugang mit genauen und selbsterklärenden Instruktionen zum Einloggen ("login-name: opac") ist vorhanden. Er ähnelt sehr dem alten HEIDI-Feeling (Vorsicht dieser Link geht nicht mehr korrekt, Server zeigt nur noch "Trying...").

Dank fehlendem JavaScript an der Fankfurter UB sind die meisten Befehle direkt als Link klickbar und nicht erst per Ankreuzfeld und Button ausführbar. Sehr schön ist die mehrfache Buchsuche arrangiert, mit einem Befehl "Abspeichern" lassen sich nämlich zuerst alle Titel recherchieren und am Ende kann sowohl der Suchverlauf nochmal eingesehen werden, als auch alle Suchergebnisse an eine frei wählbare email-Adresse versendet werden (vorbildlich "7-bit clean"). Hierzu müssen sich die "abgespeicherten" Bücher gemerkt werden, was eine Zeitbegrenzung sinnvoll und von nöten macht. Sehr elegant kann die Literaturrecherche so einfach "mitgenommen" werden und ohne Graphiken lokal ausgedruckt werden. Für Menschen von ausserhalb ist sogar ein Bestellen zur Ansicht in Lesesälen ohne Bibliotheksausweis möglich, ein Service der auch noch zusätzlich auf ein bestimmtes Datum gelegt werden kann! Da kann sich die UB Heidelberg noch einiges abschauen.

Mit einer aktuellen (aber wohl in windeseile verfassten) Erklärung der "Routinebetrieb mit neuer HEIDI [sei] aufgenommen", macht sich das Webteam der Universitätsbibliothek Heidelberg mehr als lächerlich. Zuviele der obengenannte Nachteile prägen bisher das Bild. Kryptische Fehlermeldungen wie "document.err has no properties" oder "Sias-Nummer des Titels nicht plausibel" runden dieses Bild noch ab und weitere bisher ungenannte Probleme bleiben noch offen. Es gibt aber einen ganz unbestrittenen Vorteil der neuen HEIDI gegenüber der alten: Die Verfügbarkeit eines Buchs, speziell wenn mehrere Exemplare eines Titels vorhanden sind, ist nun schneller einzusehen, als es vorher mit dem umständlichen Hin- und Herschalten ging. Allerdings wiegt das die Vielzahl der Unzulänglichkeiten der neuen HEIDI keineswegs auf und hier besteht dringender Handlunsgbedarf der UB und dessen Web-Team. Vielleicht wäre es das beste, wenn ein Lastenheft erarbeitet würde, wo alle Haken und Ösen der neuen HEIDI genannt werden und die Wünsche der NutzerInnen ein Gehör finden. Wer fängt damit an?

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