Vor zwei Jahren haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen, durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes die Verfasste Studierendenschaft abzusichern. ("Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einvernehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und dabei die Erhebung von Studiengebuehren ausschliessen sowie die verfasste Studierendenschaft absichern.") Ebenso wie beim Wahlversprechen Studiengebührenverbot verhalten sich die Parteien auf Landesebene anders: Niedersachsens Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (SPD) läßt seine Beamten im Rahmen der Novellierung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) auch über eine Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft (VS) nachdenken.
VS heißt, dass es eine gewählte Vertretung der Studierenden gibt, die als Teilkörperschaft des öffentlichen Rechts namens der Studierenden Verträge eingehen darf oder Erklärungen abgeben darf. In den meisten westlichen Bundesländern wird hierzu ein Studierendenparlament (StuPa/SP) gewählt, aus dessen Mitte als "Regierung" der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) gewählt wird. Parallel dazu gibt es auf Fachbereichs- oder Fakultätsebene die Fachschaften, die auf dieser Ebene die Studierenden vertreten. In den östlichen Bundesländern gibt es ebenfalls Fachschaften, für die Ebene der Gesamthochschule wird aus bzw. in ihnen ein Studentenrat (StuRa) gebildet bzw. gewählt, der die hochschulweite Vertretung wahrnimmt. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es seit Jahrzehnten keine studentischen Vertretungsorgane (wiewohl es Ausschüsse gibt, die diesen Anschein erwecken sollen).
Ein offizieller Referentenentwurf liegt zwar noch nicht vor, aber das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) lädt im Oktober zu einer Diskussionsveranstaltung ein, bei der über die VS diskutiert werden soll. Der Tenor der Veranstaltungsankündigung deutet an, dass die VS als nicht mehr unbedingt zeitgemäß angesehen wird. Eingeladen zu der Veranstaltung wurden ein AStA-Mitglied der Uni Marburg sowie jemand von sCHEme, des vom CHE ernannten "unabhängigen" Studierendenclubs, dessen Mitglieder sich ideologiefrei und objektiv für die Ziele des CHE (u.a. Abschaffung von Mitbestimmung) stark machen dürfen. Aus Niedersachsen selbst wurde niemand eingeladen.
Ein interner Vorentwurf zum Referentenentwurf für den Gesetzentwurf des NHG, den die SPD- Landesregierung wohl demnächst auch einbringen will und der diesen Verdacht erhärtet, liegt dem AStA der Uni Hannover vor. Dort heisst es im § 67 Absatz 6: "Die Studentenschaft als rechtsfähige Körperschaft wird mit In-Kraft-Treten des Gesetzes aufgelöst. Ihr Vermögen geht auf das Körperschaftsvermögen der Hochschule über. Das von ihr beschäftigte Personal wird im Dienst des Landes weiter beschäftigt. .... Die Hochschulen können mit den Studentenwerken Vereinbarungen über die Wahrnehmung von Aufgaben, die den Studentenschaften oblagen, treffen." Sollte dieser Entwurf durch gehen, könnte dies der nächste Schritt hin zu einer flächendeckenden Abschaffung der VS in den Bundesländern sein, in denen es sie noch gibt.
Die demokratisch gewählten Studierendenvertretungen sind derzeit ohnehin verschärften Angriffen ausgesetzt. Immer häufiger verhängen Verwaltungsgerichte (in der Regel auf Antrag von RCDS- und/oder Burschenschaftsmitgliedern) Ordnungsgelder gegen Allgemeine Studierendenausschüsse und Studierendenräte wegen missliebiger politischer Äußerungen. Die Diskussion in Niedersachsen zeigt auf jeden Fall, dass die vom CHE und anderen angedachten Modelle einer Entdemokratisierung und Kommerzialisierung der Hochschulen zunehmend auf Zustimmung stoßen, selbst wenn der erwähnte Entwurf derzeit nicht mehrheitsfähig sein sollte.
Nach neuesten Auskünften aus dem Ministerium sieht es so aus, dass man die Abschnitte diskutiert hat ("man denkt halt in alle Richtungen und die VS hat wegen geringer Wahlbeteiligung eine geringe Legitimation"), aber die VS derzeit noch erhalten will, allerdings sollen die entsprechenden Abschnitte neu gefasst werden und im Rahmen von "allgemeiner Deregulierung und Autonomie" knapper ausfallen. Inhaltliche Mitbestimmung wird so zum Gegenstand von Wettbewerb um des Wettbewerbs willen - im hochschulpolitischen Programm des RCDS (Ring Christlich Demokratischer Studenten; CDU-Hochschulorganisation) klingt das dann so: "Die Ausgestaltung der studentischen Selbstverwaltung ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Der RCDS bekennt sich zu dem Wettbewerb der Vertretungsmodelle, der sich daraus ergibt." Immerhin ist der bei den JuSos organisierte SPD-Nachwuchs noch nicht dieser Auffassung...
Wenn man sich mal so umschaut, wer sich so alles schon mal für die VS ausgesprochen hat, stößt man auf interessante Dinge:
http://www.bundes-lhg.org/beschlusslage/02/19hrg.htm
http://www.bundes-lhg.org/beschlusslage/06/01verstu.htm
http://www.landtag.hessen.de/hochschul/angeh/47.html
Dieser Artikel wurde zitiert am: 20.12.2000