Rituale sind in: Ratgeber propagieren den Einsatz von Ritualen in der Erziehung, auf esoterischen Workshops kann man angeblich uralte Zeremonien ausprobieren, und Reiseveranstalter locken mit der Teilnahme an exotischen Festen. Auch in den Kulturwissenschaften hat das Thema "Ritual" eine Renaissance erlebt: Die Debatten über Funktion und Bedeutung (oder aber Funktions- und Bedeutungslosigkeit) von Ritualen füllt inzwischen kleinere Bibliotheken, und es gibt eine wissenschaftliche Zeitschrift, die sich ganz der Ritualforschung verschrieben hat.
Im Unterschied zur wissenschaftlichen Literatur ist der Film -- das charakteristische Medium des 20. Jahrhunderts vor der Erfindung des Internets -- in der Lage, die ästhetischen, kommunikativen und performativen Dimensionen von Ritualen gleichzeitig einzufangen. Das Medium Film bietet sich daher in besonderer Weise zur Dokumentation von Ritualen an: Gleich nach der Erfindung des Kinematographen schwärmten Wissenschaftler und Amateure in alle Welt aus, um die Gebräuche fremder Völker auf die Filmrolle zu bannen. Damit aber fingen die Schwierigkeiten erst an. So mussten die Filmemacher zu ihrem Leidwesen schnell einsehen, dass die Gefilmten sich vor der Kamera keineswegs so verhielten, wie sie dies ohne die Anwesenheit der Kamera zu tun pflegten. Dies führte im Laufe des 20. Jahrhundert zu einer Reihe unterschiedlicher Auffassungen darüber, wie "authentische" Aufnahmen am besten herzustellen seien.
Das Filmseminar "Rituale filmen: Beispiele aus der visuellen Anthropologie des 20. Jahrhunderts", veranstaltet vom Institut für Religionswissenschaft zusammen mit der DFG-Forschungsgruppe "Ritualistik und Religionsgeschichte", aber offen für alle Interessierten, will zeigen, welche Resultate die verschiedenen Ansätze der visuellen Anthropologie hervorgebracht haben.
Daher werden hier frühe ethnographische Dokumente ebenso zu sehen sein, wie ausgesprochene Klassiker des ethnographischen Films, die bald darauf entstanden; so der berühmte Film "Nanuk der Eskimo" von Robert Flaherty. Ebenfalls gezeigt werden Filme von Jean Rouch und Luc de Heusch, die Epoche gemacht haben; aber auch die neuesten Filme der renommierten Ethnologen Ivo Strecker und Jean Lydall, die zu diesem Anlaß am Samstag abend zu Gast im Karlstorkino sein werden.
Das Programm:
Samstag, 3.2., 15 Uhr, Kino im Karlstorbahnhof
"Nanuk der Eskimo"
USA 1922, Buch und
Regie: Robert Flaherty, s/w, 48 min, Stummfilm mit deutschen
Zwischentiteln, Prädikat: besonders wertvoll.
Nach einer Einführung in die
Filmreihe durch Prof. Dr. Joannes A. M. Snoek (Leiden/Heidelberg) und den
Filmdokumenten "Aus dem Leben der Taulipang in Guayana" von 1911
und weiteren Filmen aus der Südsee, die in den Jahren 1908/10
entstanden, steht einer der großen Klassiker der Stummfilmzeit auf dem Programm:
Robert Flahertys "Nanuk der Eskimo". Flaherty, sicher einer der
großen Filmpioniere der Stummfilmzeit, hatte Anfang der 20er Jahre als
Handelsvertreter einige Zeit in der Arktis verbracht, wo er auch mit den
Eskimos, genauer Inuit, zusammentraf. So beschloß er, einen Film über ihr Leben
zu drehen. Im Mittelpunkt steht dabei Nanuk, den Flaherty anleitete, vor der
Kamera seine Lebensweise darzustellen. Über den Zeitraum eines Jahres zeigt der
Film so Nanuk, seine Familie und ihr Leben in einer ebenso grandiosen wie harten
und gefährlichen Natur, zwischen tiefen und extrem kalten Wintern und kurzen
Sommern.
Samstag, 3.2., 19 Uhr, Kino im Karlstorbahnhof
"The Leap across the
Cattle" / "Two Girls go Hunting"
Jean Lydall und Ivo
Strecker sind sicher zwei der arriviertesten ethnographischen Filmemacher
der Gegenwart. Derzeit arbeiten sie im Süden Äthiopiens, wo sie diese
Filme eines Initiationsrituals und einer Hochzeit aufnahmen. Ivo Strecker und
Jean Lydall sind anwesend und werden jeweils Einführungen zu ihren Filmen
geben!
Sonntag, 4.2., 15 Uhr, Kino im Karlstorbahnhof
"Cimetière dans la
falaise Friedhof in der Felswand" / "Moro Naba" / "Tobelo
Marriage"
Denkt man an ethnographische Filme, so sicher, wenn nicht an
Robert Flaherty, vor allem an den Franzosen Jean Rouch, der seit den
fünfziger Jahren immer wieder mit beeindruckenden Dokumentarfilmen aufwartete.
Dabei stellte er einerseits mit ihnen das festgefügte westliche Weltbild in
Frage. Andererseits übten seine Filme auch großen Einfluß auf das Schaffen
seiner Dokumentarfilmkollegen aus. Ohne Jean Rouch wären "cinéma verité" und
"cinéma directe" nicht denkbar. In seinem Film "Friedhof in der Felswand"
von 1951 zeigt Jean Rouch ein Begräbnisritual bei den Dogon in
Mali, einem Volk, das den Forschergeist der Ethnologen seit jeher
beflügelte.
"Moro Naba" von 1957 zeigt ein Begräbnisritual der
Mossi in Burkina Faso. Beide Filme werden in der Originalfassungen mit
englischen Untertiteln gezeigt.
"Tobelo Marriage"
Halmahera,
Molukken, Ost-Indonesien, 1982, von Dirk Nijland, Jos Platenkamp
u.a., 110 min., Englisch.
Sonntag, 4.2., 19 Uhr, Kino im Karlstorbahnhof
"A
Celebration of Origins"
Flores, Indonesien, 1993, von E. D.
Lewis, T. Ash und P. Ash, 46 min., Englisch.
"Fête chez les Hamba
Fest bei den Hamba"
Im Jahr 1955 drehte der Belgier Luc de
Heusch einen weiteren großen Klassiker des ethnographischen Films, "Fest bei
den Hamba", eine dreiteilige Dokumentation über die Bobo in
Zentralafrika, gedreht jeweils in sehr unterschiedlichen Stilen. So
spielen die Bobo im ersten Teil ihr Leben vor der Kamera, fast wie Nanuk bei
Flaherty. Der zweite Teil des Films dokumentiert ein Schutzritual für Schwangere
sowie eine Initiation in den höchsten Grad einer Geheimgesellschaft. Der dritte
Teil zeigt ein aus großem Abstand aufgenommenes Fest, so dass man fast von einer
Aufnahme mit "versteckter Kamera" sprechen kann. Zu sehen sein wird die
Neufassung des Films aus dem Jahre 1998 mit englischen
Untertiteln.