Zunächst keine FSK-Infoständer in den Mensen
Zur geordneten Weitergabe von aktuellen Informationen rund um Studium, Kultur und Hochschulpolitik bemüht sich die FSK zur Zeit darum, in den Mensen Informationsaufsteller zu platzieren.
Was für viele Unternehmen offensichtlich keine große Schwierigkeit darstellt -- hier ein Kuli von Eplus, da eine Gratisprobe von Wrigley's neuem Space-Gummi, Hochglanzpresse, Reisewerbung und heiße Infos zur Krankenversicherung -- erweist sich für die Studierendenvertretung als echtes Hindernis. Nachdem in einem ersten Gespräch mit dem Studentenwerk eine Aufstellerlaubnis von der Art der Ständer abhängen sollte, wurden professionelle Ständer angeschafft. Erneute Rückfragen, ob und wo man die Ständer denn platzieren könne, wurden vom Studentenwerk aktuell jedoch zurückgewiesen: Von anderer Stelle wird gerade ein "neues Konzept" erarbeitet, "um der Flut der Fremdwerbung Herr zu werden."
Welcher Art dieses Konzept wohl sein mag, das hauseigene zentrale Aufsteller vorsehen soll und für "Anfang nächsten Jahres" angekündigt ist, darüber können wir nur spekulieren -- die Trends der letzten Jahre bei uns (feste, kostenpflichtige Plakatständer für einzelne Riesenplakate, zunehmendes kommerzielles Merchandising) lassen kaum Raum für demokratische Träume. Damit stehen wir in Heidelberg nicht allein, wie jüngst auch in der taz vom 28.11. zu lesen war. Der Titel des Artikels, "Kommerz statt Politik im Speisesaal", umschreibt hier, was die globalisierungskritische Bewegung allgemein als Privatisierung des (quasi-) öffentlichen Raums bezeichnet.
Das Rektorat bezieht keine Stellung zu dem Vorhaben, verweist auf die Zuständigkeit des Studentenwerks und verschiebt eine digitale Anfrage höflich ("darf ich sie freundlicherweise damit belästigen") intern weiter.
Aktuell werden Informationen der FSK also keine eigene Plattform in den Mensen erhalten; als aufgenommene "Interessenten" bleibt uns nun, auf ein wenig Platz auf den kommenden Studentenwerksständern zu hoffen und solange auf altbekannte Kommunikationswege, wie z.B. den UNiMUT, zurückzugreifen.
Ärgerlich ist dies nicht nur aufgrund der angeschafften Ständer: Das junge Referat für Information und Öffentlichkeitsarbeit hat seine Arbeit kaum begonnen und möchte sich eigentlich um die Aufbereitung und Verbreitung von Informationen kümmern, da verpufft ein großer Teil der ohnehin knappen personellen Energie erst einmal in einer Wolke aus Bürokratie und Zuständigkeitsdickicht.
.Ergebnisse der Attac-Lektüregruppe
Diesen Beitrag der attac-Hochschulgruppe dürft ihr durchaus als Aufforderung verstehen, Ergebnisse eurer Arbeitsgruppen bei uns zu publizieren -- Red.
1964 verfasst Herbert Marcuse, Philosoph und Ikone der 68-er Bewegung sein Hauptwerk "Der eindimensionale Mensch- Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft". Auch heute noch, über 40 Jahre später, ist sein Buch großteils hochaktuell.
Marcuse zeichnet darin das tief pessimistische Bild einer (westlichen) Gesellschaft, die als Ganzes irrational ist und in der kritisches Denken praktisch nicht mehr stattfindet.
Der moderne Industriestaat ist nach Marcuse von einem Auseinanderfallen zwischen Realität und Möglichkeit geprägt: während einerseits alle materiell-technischen sowie geistigen Mittel vorhanden sind, um Armut und Elend weltweit zu beseitigen und allen Menschen ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu ermöglichen, so bleiben diese Kapazitäten andererseits völlig ungenutzt. Die ansteigende Produktivität wirkt sich vielmehr negativ aus. Sie fließt zu einem Großteil in die Herstellung "überflüssiger" Waren sowie in die "friedliche Produktion von Destruktionsmitteln" 1, die in die Lage versetzen, die gesamte Menschheit auslöschen zu können . Letzterer Verweis Marcuses auf die Gefahr der "atomaren Katastrophe" hat auch heute, nach Untergang des Ostblocks, des vermeintlichen "Bösen", nichts von seinem Schrecken verloren.
Die moderne Industriegesellschaft ist Marcuse zufolge zur "Gesellschaft ohne Opposition"2 geworden. Die aufgrund elender Lebensverhältnisse im Frühkapitalismus kritisch bis "revolutionär" eingestellte Arbeiterschaft wurde durch wachsende Teilhabe am nationalen Wohlstand schließlich zur Hinnahme des gesellschaftlichen status quo gebracht. Ehemals oppositionelle Kräfte wurden somit durch Erhöhung ihres Lebensstandards in das System integriert, ohne dass dabei die soziale Hierarchie aufgehoben worden wäre.3 In diesem Punkt wirkt Marcuse in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, sinkenden Löhnen und dem weltweiten Abbau sozialer Leistungen, etwas überholt. Die Phase der Integration breiter Schichten in die westliche Gesellschaft scheint in Zeiten neoliberaler Globalisierung vorbei zu sein. Dass aus der wieder anwachsenden Kluft zwischen Arm und Reich eine neue gesellschaftliche Opposition bzw. eine Renaissance "sozialer Kämpfe" erwächst, erscheint daher naheliegend, bleibt jedoch abzuwarten.
Scharf und gegen jede "political correctness" bezeichnet Marcuse die moderne Gesellschaft als "totalitär".4 Er sieht in ihr eine "nicht-terroristische ökonomisch-technische Gleichschaltung" am Werk, die sich mit einem gewissen "Pluralismus" an Zeitungen, Parteien und Meinungen durchaus verträgt.5 Durch Werbung und Massenmedien werde dem Individuum beständig der Zwang auferlegt, bestimmte, großteils "unnütze" Waren zu kaufen und zu konsumieren. Massenproduktion und -konsum gehen dabei einher mit verordneten Einstellungen und Gewohnheiten, "sich im Einklang der Reklame zu entspannen, ...zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben"6 Durch Manipulation werden nach Marcuse im Menschen "falsche Bedürfnisse" erzeugt, die im Erwerb der angebotenen Waren Befriedigung suchen, und somit letztlich die Funktion haben, ihn an die Produzenten und über diese an das Systemganze zu binden. Die moderne Zivilisation führt schließlich zur "Verdinglichung" der Individuen. "Die Menschen entdecken sich in ihren Waren wieder, sie finden ihre Seele in ihrem Auto, ihrem Hi-Fi Empfänger"7- ein Satz, der sich heute ohne weiteres um Handy, PC und Markenkleidung erweitern ließe.
Hochaktuell erscheint Marcuses Schilderung der "Abriegelung des Universums der Sprache".8 Ehemals kritische Begriffe wie etwa "Freiheit" und "Demokratie" werden von der "veröffentlichten Meinung" ihres historisch-kontroversen Inhalts beraubt und zu bloßen Clichés, zu den status quo rechtfertigenden, sich selbst bestätigenden Schlagworten. "Demokratie ist das, was wir haben", "Freiheit ist das, was wir haben" assoziiert der Einzelne bei Auftauchen des Schlagworts, ohne nach dem möglichen Inhalt der Begriffe bzw. ihrer Verwirklichung in der Realität (kritisch) zu fragen. Die in den Medien verbreitete politische Sprache nimmt allgemein "magisch- rituelle" Formen an, die jeglichen Widerspruch ausschließen. Den "Krieg gegen den Terror", "humanitäre militärische Intervention" oder "mehr Eigenverantwortung" könnte man aktuell zu den von Marcuse geschilderten "ritualisierten" Begriffen zählen, die von vornherein abgeschlossen und gegen jede Kritik "immun" sind.
Die allgemeine gesellschaftliche Eindimensionalität erstreckt sich Marcuse zufolge nicht zuletzt auf das politische Mehrparteiensystem. Zu der über alle Gruppeninteressen hinweg im wesentlichen gemeinsamen Außenpolitik gesellt sich Einverständnis in der Innenpolitik, wobei "die Programme der großen Parteien selbst im Grad der Heuchelei und im Geruch der Clichés immer ununterscheidbarer werden".9 Eine Beschreibung, die einem im Zeitalter der allseits proklamierten "Politik ohne Alternativen" durchaus vertraut vorkommt.
Bleibt zu fragen, welche Lehren man aus Marcuses Gesellschaftskritik heute noch ziehen kann. Geht man mit Marcuse davon aus, dass jede grundlegende Veränderung im Bewusstsein10 des Einzelnen beginnt, so hat die Forderung nach Überwindung von "Eindimensionalität" immer noch Relevanz. Im Zeitalter fortdauernder Ressourcenverschwendung, Kriegen und Armut ist die Notwendigkeit eines "transzendenten", also über bestehende Verhältnisse hinausgehenden Denkens, eigentlich offensichtlich. Ohne weiteres kann man sich dabei Marcuse anschließen, der unter "Transzendenz" im übrigen nicht "Utopie", sondern "reale geschichtliche Möglichkeit" versteht.11 Richtig bleibt die Erkenntnis, dass jede Organisation von Menschen in einer Gesellschaft eine Wahl zwischen geschichtlichen Alternativen einschließt. Die derzeitige "westliche" Zivilisation stellt daher nicht die einzig mögliche Form von Gesellschaft dar, sie ist lediglich ein "Entwurf von Verwirklichung unter anderen"12- eine Tatsache, die man sich immer von neuem bewusst machen muss.
Das Buch "Der eindimensionale Mensch" wurde im SS 05 im Rahmen der Attac-Lektüregruppe Globalisierung gelesen. Der vorstehende Artikel ist dazu ein Disskussionsbeitrag. Mehr zur Attac-Lektüregruppe unter http://www.attac.de/uni-heidelberg
1 Marcuse, der eindimensionale Mensch, S.11 [Zurück]
2 Marcuse, ebda, S.11 ff. [Zurück]
3 Marcuse, ebda, S. 28 [Zurück]
4 Marcuse, ebda, S. 23 [Zurück]
6 Marcuse, ebda, S.25 [Zurück]
7 Marcuse, ebda, S.29 [Zurück]
8 Marcuse, ebda, S.104 ff. [Zurück]
9 Marcuse, ebda, S. 39 [Zurück]
10 Marcuse, ebda, S. 27 [Zurück]
11 Marcuse, ebda, S. 13 [Zurück]
12 Marcuse, ebda, S.18 [Zurück]
Dieser Artikel wurde zitiert am: 26.05.2006