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Nordeuropas Universitäten - Firmen mit Mitbestimmung

Gescheiterte Studienmodelle, vorzügliches Stipendienwesen und keine Beamte / Eine Reise durch Skandinavien

Von Karl-Heinz Heinemann

Experten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben sich an Universitäten und bei Partnergewerkschaften in Dänemark, Schweden und Norwegen umgesehen. Die Reise sollte der Vorbereitung auf eine Konferenz im September 2003 dienen. Dort werden die Wissenschaftsminister aus rund dreißig europäischen Staaten Länder über die Vereinheitlichung des europäischen Hochschulraums, den so genannten "Bologna-Prozess", beraten.

KOPENHAGEN. "Seit 523 Jahren regiert der Rektor die Universität Kopenhagen und der König das übrige Dänemark", frotzelt John Andersen. Und nun wolle die Regierung mit dieser guten Tradition bre-chen. Andersen macht keinen Hehl daraus, was er von den Managementstruktu-ren hält, die die Hochschulen "firmatisieren", wie er sagt, also zu marktgängigen Wirtschaftsunternehmen machen sollen. Andersen war Prorektor der Kopenhagener Universität, ist in der "Dansk Magisterforening", der Hochschulgewerkschaft, engagiert und leitet nun die internationale Abteilung seiner Universität.

Eine Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft wittert er hinter den neuen Management-Strukturen: An der Spitze der Uni steht ein Verwaltungsrat, der mehrheitlich mit Universitätsfremden besetzt ist. Er habe nichts gegen die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft, stellt Andersen klar. Aber hier handele es sich, wie gesagt, um "Firmatisierung", wenn in diesem Aufsichtsgremium die Spitzen der Wirtschaft säßen.

In Kopenhagen, der ersten Station einer längeren Stippvisite zu skandinavischen Hochschulen und Hochschulgewerkschaften, scheint das gemütliche skandinavische "Volksheim", die viel gelobte Konsenskultur, gestört. Für die seit vorigem Jahr amtierende Rechtsregierung hat Andersen nur politisch drastisch-derbe Bezeichnungen übrig. Freilich scheut er sich nicht, im Auftrag seiner Rektorin, Linda Nielsen, die nun Vorsitzende der Rektorenkonferenz ist, auch mit der dänischen Volkspartei zu verhandeln, wenn das einige hundert Millionen Kronen für die Hochschulen einbringt.

Noch in einem anderen Punkt sind die dänischen Hochschulen im europaweiten Vergleich vorneweg: Schon 1992 wurden flächendeckend neue Studienstrukturen mit dem Bachelor-Abschluss eingezogen. Das Modell ist vorerst gescheitert: Nur zehn Prozent der Studierenden wählten diesen frühen Abschluss, alle anderen studierten "fertig" bis zum "Kandidatus", dem dänischen Diplom. Dieser Bachelor sei eine Mogelpackung, meint Andersen, man habe nichts an den Studienordnungen geändert. Die Arbeitslosigkeit unter den Bachelors sei katastrophal, in den Unternehmen habe sich der Grad nicht durchsetzen lassen. Nun nimmt man einen neuen Anlauf und will auch die Studienordnungen reformieren.

Viele Credit Points zahlen sich aus

Auch die Finanzierung der Hochschulen ist in allen drei skandinavischen Ländern marktförmig organisiert: Der größte Teil des Globalhaushalts der Hochschulen richtet sich danach, wie viele Studierende ihr Pensum an Credit-Points erreicht haben. Hochschulen und Studenten wollen nun dasselbe, nämlich möglichst viele Punkte. Aber es gebe Professoren, die behaupteten, dadurch sei das Niveau gesunken, meint John Andersen.

Dieselbe Gleichung gilt in Schweden: Weniger Studierende - weniger Geld für die Hochschule. Bedeutet das unterm Strich ein schmaleres Gehalt für die Professoren oder gar Entlassungen, wenn die Kurve mit den Studierendenzahlen nach unten geht? Zumal die Dozenten allesamt keine Beamte mehr sind? Gemach, beschwichtigt Göran Blomquist, Generalsekretär der schwedischen Hochschullehrergewerkschaft SULF. Da gibt es immer noch die Zuweisungen für die Forschung und die Möglichkeit, Finanzmittel zu übertragen. Hier im Norden, macht Blomquist klar, werde der scharfe Wind der Liberalisierung immer noch durch eine Kultur der Gleichheit und des Konsenses gemildert. Beispiele gefällig: Weder in Dänemark noch in Schweden oder Norwegen gibt es eine ernsthafte Diskussion über Studiengebühren. Überall bekommen alle Studierenden Stipendien. In Norwegen zahlt der Staat seinen Bürgern, die in England, Australien oder den USA studieren, sogar die dort anfallenden Studiengebühren, berichtet Widar Hvamb in Oslo, Generalsekretär der norwegischen Rektorenkonferenz. Das kleine Land gibt fast acht Prozent seines Bruttosozialprodukts für Bildung aus - in Deutschland sind es großzügig gerechnet vier Prozent.

Ob skandinavische Studierende im internationalen Vergleich auch so gut abschneiden würden wie die nordischen Schülerinnen und Schüler im Pisa-Test, lässt sich nicht sagen. Es gibt keine empirisch gesicherten Leistungsvergleiche. Aber in Schweden beispielsweise studieren etwa 40 Prozent der jungen Leute, und die Parteien des Landes sind sich einig, dass es 50 Prozent werden sollen. In Deutschland liegt die Studierquote noch bei 30 Prozent.

Schwedische Hochschulen können Studiengänge nach Belieben eröffnen und schließen, wenn sie dafür genügend Studenten bekommen - und das Gütesiegel des Högskoleverket, der staatlichen Hochschulagentur. Die hat auch schon mal einer Uni das Prüfungsrecht für Pflegeberufe wegen miserabler Qualität entzogen.

Stipendien und gute Betreuung

Lennart Ståhle, der Direktor des Högskoleverket, ist überzeugt, dass die Betreuung der Studenten in Schweden erheblich besser ist, als er es aus Anschauung in Deutschland kennt. Eine wichtige Ursache dafür: In allen skandinavischen Ländern gibt es, wiederum im Unterschied zu Deutschland, dauerhaft beschäftigte Lektoren, "Adjunkten", "Amansuenses" und andere wissenschaftliche Mitarbeiter unterhalb der Professorenebene. Ihre Zahl ist drei- bis viermal höher als die der Professoren. In Deutschland haben nur die Professoren einen sicheren Job, die meisten anderen sitzen auf befristeten Verträgen. Dass die Hochschulmitarbeiter in Schweden so gut abgesichert sind, freut die Besucher von der GEW besonders. "Kontinuität ist eine wesentliche Voraussetzung für Qualität," meint Gerd Köhler, für Hochschulen und Forschungsmitarbeiter im GEW-Hauptvorstand zuständig.

Zusätzlich zu der Dauerbesetzung von Lektorenstellen ergattern in Schweden fast 70 Prozent der Doktoranden eine befristete Stelle. Ein Institut darf einen Doktoranden oder eine Doktorandin erst dann zur Promotion annehmen, wenn es nachweisen kann, dass der Lebensunterhalt der Postgraduierten gesichert ist. Das freut die deutschen Gewerkschafter: "Da bekommt man nicht nur mehr Geld als bei uns, sondern auch die soziale Sicherheit ist größer und die Einbindung in den Hochschulbetrieb."

Professoren in der Gewerkschaft

In keinem der besuchten Länder haben die Professoren den in Deutschland üblichen Status: Sie sind keine Beamte mit gesetzlich geregeltem Einkommen. Ihre Gehälter werden, wie die der anderen Wissenschaftler auch, in Tarifverhandlungen erstritten. Die Gewerkschaften haben also mehr Einfluss an den Hochschulen und folglich auch mehr Mitglieder. In Schweden sind vier von fünf Professoren Gewerkschaftsmitglieder. In Dänemark, Norwegen und Schweden sind Alterszulagen abgeschafft.

Über das Grundgehalt hinaus addieren sich Funktions- und Leistungszulagen sowie Zuschläge nach Marktlage - so steht es jedenfalls auf dem Papier. Sowohl in Dänemark als auch in Schweden löst genaueres Nachfragen Ernüchterung aus: Große Gehaltsunterschiede haben vor allem mit der Marktsituation zu tun. Nicht der bessere Hochschullehrer verdient mehr, sondern der Techniker mehr als der Historiker, weiß Göran Blomquist, der selbst Historiker an der Universität Lund war.

Die Experten aus Dänemark und Schweden geben der deutschen Delegation ähnliche Empfehlungen mit auf den Weg: Die Beteiligung der Studenten und der Angestellten mache aus der Hochschule - bei aller Kritik an der "Firmatisierung" - ein "house of intellect", meint John Andersen. Und Lennart Ståhle sagt, es zeichne schwedische Hochschulen aus, dass sie auf die Studenten höre und sie in die Arbeit einbeziehe. Ermutigt fahren die GEW-Touristen zurück: Im Herbst 2003, bei der europäischen Wissenschaftsminister-Konferenz in Berlin, wollen sie die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen und die Gestaltung des Doktorandenstatus auf die Tagesordnung setzen.

 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 09.10.2002 um 21:34:11 Uhr
Erscheinungsdatum 10.10.2002

 

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