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Eine Szene über den 11. September in zwei Städten

Nach Elena Huegel, Missionarin in Chile; das Original wurde letztes Jahr in den USA aufgeführt.

E: Am 11. September 1973 begann mit der Bombardierung des Präsidentenpalasts in Santiago de Chile ein Putsch gegen die demokratisch gewählte Linksregierung von Präsident Salvador Allende. Allende selbst wurde während des Putsches erschossen, der Diktator Augusto Pinochet ergriff die Macht und entfaltete eine Herrschaft von Terror, Internationalem Währungsfonds und Weltbank. Noch während des Putsches ließ er alle DissidentInnen verhaften, derer er habhaft werden konnte, ließ sie ins Nationalstadion treiben, dort foltern, erschießen und in Massengräbern verscharren. Während der nächsten fünfzehn Jahre wurden viele Studierende, Lehrende, KünstlerInnen verhaftet, gefoltert, ermordet -- oder sie verschwanden einfach.

E: Pinochet konnte die Macht aufgrund verdeckter und nicht so verdeckter Operationen von CIA und US-Armee ergreifen -- auch die Freundschaft zu Franz Josef Strauß mag geholfen haben. Erst kürzlich kamen neue Hinweise ans Licht, die zeigen, dass es Flugzeuge der US-Luftwaffe waren, die die Bomben auf den Präsidentenpalast warfen. Schiffe der US-Marine warteten vor der Küste von Playa Ancha, um bei einem Scheitern des Putsches einzugreifen.

E: Auf den Tag genau 28 Jahre später wurden zwei Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers geflogen. Die Hochhäuser stürzten ein. Die Tragödien vom 11. September verbinden und trennen Chile und die USA.


Die SchauspielerInnen blicken in verschiedene Richtungen.

U: Ich war ein normaler US-Bürger.

C: Ich war eine normale Chilenin.

U: Der ein normales Leben gelebt hat.

C: Die ein normales Leben gelebt hat.

U: Meine Frau fuhr mit ihrer Fahrgemeinschaft ins Büro. Ich war im Einkaufzentrum shoppen.

C: Mein Mann fuhr mit dem Bus zur Arbeit. Ich flickte meine Kleider.

U: Ich stand im Supermarkt in der Schlange vor der Kasse.

C: Ich wartete bei der Brotzuteilung in der Schlange in der Bäckerei.

U: Ich habe unsere Kinder zum Baseballspielen gefahren, ins Kino, zum Musikunterricht.

C: Ich habe zugesehen, wie meine Kinder auf der Straße mit einem Lumpenball spielten.

U: Dann, eines Morgens...

C: Dann, eines Morgens...

U: ...hörte ich, wie ein Flugzeug zu tief über der Stadt eingeflogen kam.

C: ...hörte ich, wie Flugzeuge vom Militärflugplatz abhoben.

U: Und ich sah mit ungläubigen Entsetzen zu, wie es in einen Turm des World Trade Center stürzte.

C: Und ich hörte plötzlich Explosionen aus der Innenstadt.

U: Ich rannte ins Haus und schaltete den Fernseher an.

C: Ich rannte ins Haus und schaltete das Radio an.

U: Ich war vor Panik gelähmt, als ein weiteres Flugzeug in den zweiten Turm flog.

C: Ich traute meinen Ohren nicht, als der Präsident seine letzten Worte sprach, bevor die Übertragung abgebrochen wurde.

U: Die Türme waren in Feuer gehüllt, als sie in einer Wolke von Staub zusammenbrachen.

C: Überall in der Stadt war das Geräusch von Gewehrfeuer zu hören, während das Militär aufrechte Menschen verfolgte.

U: Irgendwie spürte ich, dass meine Frau nicht mehr heimkommen würde.

C: Ich ahnte nicht, dass auch mein Mann dem Terror des Militärs zum Opfer fallen würde.

U: Mit meinem Mobiltelefon in der Hand wartete ich. Die letzte Hoffnung erstarb, als die Sonne unterging.

C: Seit 30 Jahren hoffe ich bei jedem Sonnenaufgang aufs Neue. Und warte.

U: Sie verschwand mit so vielen anderen in Flammen und Schutt.

C: Er verschwand wie so viele andere, die ins Stadion getrieben wurden.

U: Warum hassen sie uns?

C: Wer waren unsere Feinde?

U: Namenlose Geister, die unvorhersehbar kommen und gehen, und Terror hinterlassen.

C: Was haben wir ihnen getan, dass sie uns dies antaten?

U: Sie lebten in unseren Städten, besuchten unsere Schulen, entführten unsere Flugzeuge und brachten unsere Menschen um.

C: Sie haben unsere Zeitungen gekauft, unser Kupfer genommen, unser Militär übernommen, flogen die Flugzeuge, die sie uns verkauft haben und haben die Mörder angestiftet.

U: Wie können sie es wagen, das Herz unseres Landes anzugreifen, die Symbole für unsere Freiheit, unsere Wirtschaft und unsere Demokratie zu zerstören.

C: Wie können sie es wagen, das Herz unseres Landes anzugreifen und unsere Hoffnung auf ein besseres Leben und eine gerechtere Gesellschaft zu zerstören?

U: Und meine Frau kam nicht mehr heim.

C: Und mein Mann kam nicht mehr heim.

U: Und ich habe die Angst kennengelernt, wie sie sich als Tonnengewicht in meinem Magen Platz schaffte.

C: Und die Angst wurde eine Grube, aus der ich kaum entkommen konnte.

U: Aus Angst vor dem Tod im Umschlag wagte ich nicht mehr, meine Post zu öffnen.

C: Aus Angst vor der Geheimpolizei wagte ich nicht, die Tür zu öffnen.

U: Ich wagte nicht, meine Kinder ins Ferienlager zu schicken, weil sie ja hätten fliegen müssen.

C: Ich wagte nicht, meine Kinder draußen spielen zu lassen, wo die Panzer rollten, Tränengasgranaten flogen, die Soldaten wild schossen.

U: Ich bin allein, ich habe Angst, ich weiß kaum, wie ich weiterleben soll.

C: Für viele Jahre war ich allein, hatte Angst, wusste kaum, wie ich weiterleben soll.

U: Hass ist nur einen Schritt von Angst entfernt.

C: Hass war nur einen Schritt von Angst entfernt.

U: Ich will, dass sie leiden wie ich leide -- und schlimmer.

C: Nach 28 Jahren habe gesehen, dass es sie traf wie es mich traf.

SchauspielerInnen sehen sich an.

U: Ich glaube, ich werde ihnen nie vergeben können.

Bricht zusammen.

C: Ich glaubte, ich würde ihnen nie vergeben können.

Berührt den Rücken des Amerikaners, der zu ihr aufsieht, reicht ihm dann die Hand.

U: Ich bin ein Mann aus New York.

C: Ich bin eine Frau aus Chile.

U: Und der 11. September 2001 hat mein Leben erschüttert.

C: Und der 11. September 1973 hat mein Leben erschüttert.


E: Die letzten Worte von Salvador Allende waren: "Ich spreche diese Worte nicht in Bitterkeit, aber in Enttäuschung. [...] Ich werde nicht zurücktreten. In eine Periode historischen Übergangs gestellt, werde ich das Engagement der Bevölkerung mit meinem Leben entgelten. Und ich sage Ihnen, ich habe die Gewissheit, dass die Saat, die wir in das würdige Bewusstsein Tausender und Abertausender Chilenen gepflanzt haben, nicht herausgerissen werden kann. Sie haben die Gewalt, sie können uns verklaven, aber die sozialen Prozesse kann man weder durch Verbrechen noch durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte ist unser, sie wird von den Menschen geschrieben.

[...]Geht weiter in der Gewissheit, dass sich, eher früher als später, die breiten Alleen, auf denen freie Menschen auf dem Weg in eine bessere Gesellschaft schreiben, wieder öffnen werden. Lang lebe Chile, lang lebe das Volk, lang lebe die Arbeiterklasse! Dies sind meine letzten Worte. Ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die die Feigheit und den Verrat strafen wird.

E: Im letzten Jahr fanden in Chile statt der üblichen Protestmärsche zum Gedenken an die US-Verwicklung in den Putsch am 11. September Mahnwachen statt.


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