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Editorial

Mittwoch, 18.1.89, gegen Abend, Aula der neuen Uni in Heidelberg: Nachdem vor den Weihnachtsferien von Berlin ausgehend eine Streikwelle die ganze - damals noch kleinere - BRD überrollt hatte, wurde auch Heidelberg vom Streikfieber erfasst. Noch in der Nacht dieses Tages schlug die Geburtsstunde des UNiMUT und in den folgenden Wochen die des Heidelberger Modells, das den verstümmelten Studivertretung Marke Baden-Württemberg durch die Fachschaftskonferenz (FSK) ersetzt.

Die Gründe des Streiks damals unterschieden sich gar nicht so sehr von denen, die heute den Streik bestimmen. Da gab es chronische Unterfinanzierung, unfähige HochschulpolitikerInnen, nichtexistente oder unterentwickelte Mitbestimmung, wachsende Gängelung der Studierenden - und wirklich, der Aufruhr von 88/89 verschaffte den Studis eine Atempause, die weit in die neunziger Jahre reichte. Das ist jetzt vorbei, BAFöG-Kürzung und die Pseudo-Reform des Hochschulrahmengesetzes (HRG) auf Bundesebene, Studiengebühren und "expertokratische" Strukturkommission auf Landesebene, Auswahlgespräche und Zwangsberatung in Heidelberg sind nur ein paar Beispiele für Frechheiten gegen die Studis -- mehr davon auf der Rückseite dieses Sonder-UNiMUT --, ausgeheckt im Vertrauen darauf, dass die schlechten Arbeitsmarktchancen die Studis schon ruhig halten würden, zudem nach vielen Jahren Kohlregierung keineR mehr an Solidarität glauben wollte. In Hessen haben die Studis einen dicken Strich durch diese Rechnung gemacht. Und mit jeder Uni, die sich dem Streik anschließt, wird dieser Strich dicker.

Lucky Streik wünscht

d.Red


Heidelberg vor dem Studistreik

VV Mittwoch

Demo Freitag

Die Streiks in Gießen und Marburg gehen in die dritte Woche, längst arbeitet keine Uni in Hessen mehr (Frankfurt, Kassel, Darmstadt), und auch die meisten FHs werden von den Studis bestreikt. Außerhalb von Hessen streiken Bonn, Landau (fast vor unserer Haustür), Trier, Kiel, Bielefeld, einzelne Fachbereiche in Köln , viele weitere Unis planen den Streik oder streiken schon, während ihr das lest, selbst im konservativen Bayern streikt Regensburg seit diesem Montag. Und auch in Heidelberg riecht es nach Streik: Nachdem die Infoveranstaltung zum Streik letzten Freitag aus allen Nähten platzte, findet am Mittwoch, 26.11. um 16 Uhr in der Aula der Neuen Uni eine uniweite Vollversammlung statt, die darüber beraten soll, ob auf Uniebene ein Streik ausgerufen werden soll. Auf Fachbereichsebene finden weitere VVs statt (aktuelle Listen im ZFB, Lauerstr. 1, bei eurer Fachschaft und im UNiMUT aktuell, /aktuell), so dass es leicht sein kann, dass zum Zeitpunkt der VV schon die ersten Streiks beschlossen sind.

Am Donnerstag, 27.11. fahren um 8 Uhr Sonderbusse vom Hauptbahnhof Heidelberg zur bundesweiten "Bildungsnot"-Demo nach Bonn. Der Kartenvorverkauf (16 DM) wird von den "Zahltag"-Leuten bei allen Fachbereichs-VVen und der Uni-VV organisiert, Kartenrestbestände können Mittwoch Abend noch in der FSK (Tel. 54-2456) erfragt werden.

Am Freitag, 28.11., um 14 Uhr wird eine Demo stattfinden. Ausgangpunkt ist (vorbehaltlich einer wahrscheinlich unkritischen Genehmigung) das Bauhaus an der Kurfürstenanlage, nach einer Kundgebung am Marstall wird die Demo am Bismarckplatz enden. Mal sehen, ob wir die 4000 TeilnehmerInnen, mit denen Heidelberg letztes Jahr den Baden-Württemberischen Rekord setzte, noch überbieten.

In einzelnen Fachbereichen (FB) wird auch schon eifrig geplant. Im FB Geographie wird: die Ringvorlesung in der OEG abgehalten. Gemäß der OEG-Rundfahrt Mannheim-Weinheim-Heidelberg heisst das Motto "Die Bildungspolitik dreht sich im Kreis". Weiterhin wird Prof. Henrich seine Vorlesung "Bodengeographie" in der OEG abhalten. Auch die Psycho-Studis haben schon was zu bieten nämlich eine Lichterkette jeden Abend vor dem Psycholog. Institut um 19 Uhr, Motto "Schlusslicht Bildung".

Noch keinen FB haben folgende Aktionen gefunden: Vermittlung von grundlegenden Kletterkenntnissen und Abseiltechniken unter dem Motto "Wir steigen dem Rektor aufs Dach", sowie die Aufräumaktion in der Seminarstrasse 2 unter dem Slogan "Neue Behrens kehren gut -neu Siebke sieben auch".


Ziele

Jetzt, da überall in der Republik Studis anfangen, sich zu wehren, ist es Zeit, sich die gegenwärtige Misere in voller Breite vor Augen zu führen. Wogegen -- und wofür -- kann unser Kampf gehen?

Weil die schiere Zahl der Pressionen, denen wir aus Stuttgart, Bonn, und dem Rektorat ausgesetzt sind, kaum noch zu überblicken ist, hat der UNiMUT hier eine kleine und unvollständige Synopse in Form von Forderungen angelegt, die sich ein Streik zueigen machen könnte:

Weg mit...

...Studiengebühren in all ihren Tarnungen!

Zu diesem Punkt muss wohl nach den Auseinandersetzungen im letzten WS nicht mehr viel gesagt werden. Oder doch: Jetzt, da gerade das Hochschulrahmengesetz (HRG) novelliert wird, muss ein Verbot von Studiengebühren (Einschreibegebühren, Bildungsgutscheinen etc.) unbedingt mit aufgenommen werden..

...der Hochschulstrukturkommission!

Die Hochschulstrukturkommission ist ein Haufen von HonoratiorInnen, der von Stuttgart aus den Unis verordnet, welche Fachbereiche sie zu schließen bzw. zu verkleinern haben. Abgesehen davon, dass die bisherige Arbeit der Strukturkommission nicht auf nennenswerte Kompetenz schließen läßt, haben wir nicht zu viele Studienplätze, sondern zu wenige.

...dem Solidarpakt!

Der sog. Solidarpakt wurde im letzten Jahr vom Mannheimer Rektor Frankenberg mit Trotha ausgehandelt und sieht vor, dass alle Unis des Landes in den nächsten fünf Jahren 10% ihrer Stellen abbauen und dafür sicher sein können, dass sie auch wirklich nur 10% ihrer Stellen abbauen müssen. Nur glaubt an diese Sicherheit niemand, und die Unis haben im Großen und Ganzen nicht zu viel Geld, sondern zu wenig.

...lokalen Eingangsprüfungen!

Trothas UG-Novelle vom letzten Jahr machte den Weg frei für Prüfungen, in denen die Unis selbst BewerberInnen auswählen. Eine solche Verfügung findet sich nun auch in der HRG-Novelle. Auch wenn die ersten Prüfungen dieser Art, die dieses Jahr in Heidelberg stattfanden, noch relativ human aussahen, gilt hier: Wehret den Anfängen! Wir wollen keine Verhältnisse wie in Japan, wo der größte Kostenfaktor des Studiums die praktisch unverzichtbare Vorbereitung auf Uni-Eingangstests -- natürlich privat organisiert -- ist.

...Zeitbeschränkungen!

Es kann den Studis ruhig selbst überlassen werden, wann und wie intensiv sie studieren. Kein UG hat da über die Definition von Zeiten, innerhalb derer bestimmte Prüfungen abgelegt werden, reinzupfuschen. Ganz daneben sind pseudosoziale Bonbons, wie etwa die Anrechnung von Schwangerschaftszeiten -- deutlicher könnte die Vorstellung von der Frau als Gebärmaschine nicht geäußert werden.

In dieselbe Ecke gehören auch die phantasievollen Varianten, mit denen über eine Exmatrikulation von Doktoranden die mittlere Semesterzahl der Studis verringert werden soll. Wer die Promotion verschult, kann nachher nicht mit sowas anfangen.

...dem Referendariats-NC

Ausgerechnet wenn überall LehrerInnen fehlen, lässt sich Kultusministerin Schavan einfallen, den Zugang zum Referendariat von der Note im ersten Staatsexamen abhängig zu machen. Wer in einer Klausur Pech gehabt hat, ist so auf Jahre aus dem Rennen und kann entweder Parkstudieren oder sich gleich einen anderen Job suchen.

...Trotha und seinen Spießgesellen!

Minister Trotha hat, seit er in der neuen Koalition weitgehend frei schalten und walten kann, die Studis so rücksichtlos gequält und nur im Hinblick auf einen Sitz im Bundeskabinett agiert, dass mit ihm eine sinnvolle Zusammenarbeit für bessere Unis nicht möglich erscheint. Figuren wie sein Staatsekretär Machleidt, der nach einem unsäglichen "Reform"vorschlag zu den Magisterstudiengängen versetzt worden war und sich jetzt im Kontakt mit den Studiwerken unbeliebt macht, komplettieren das Bild von einem Wissenschaftsministerium mit fundamentalem Reformbedarf.

...der Zwangsberatung!

Sie ist eine Vorladung zwecks "Bereiniugng des Studentenbestandes" (Ulmer) und nimmt dem Lehrkörper die Verantwortung für eine sinnvolle Studienordnung und Lehrveranstaltungen, die diesen Namen verdienen. Stattdessen: Erstieinführungen, regelmäßige Sprechstunden und Tutorien zur Verhinderung der "Rausberatung".

Her mit...

...einer Hochschulreform, die diesen Namen verdient!

Wer im Jahre 18 nach Thatcher immer noch glaubt, "der Markt" regele schon alles, braucht eine neue Brille. Hochschulreform muss mit Inhalten zu tun haben und muss deshalb auch in den Fachbereichen ansetzen. Sie hat jedoch, das sei zugestanden, auch etwas mit Strukturen zu tun. Nur kann Liberalisierung nicht heißen, dass RektorInnen Minimonarchen mit Beratergremien aus der "freien Wirtschaft" (das sind die mit den umkippenden Autos, d.S.) werden. Nötig ist vielmehr das Ende der Guppenuni, zumindest aber die breite Beteiligung der wichtigsten Gruppe an Hochschulen. Deshalb:

...der Verfassten Studierendenschaft mit politischem Mandat!

Vor 20 Jahren wurde im Zuge der durch die RAF ausgelöste Hysterie in Bayern und Baden-Württemberg die verfasste Studierendenschaft abgeschafft und die Studivertretung zu einem Ausschuss des großen Senats degradiert. Als solcher darf sich der sog. "AStA" noch nicht mal über Prüfungsangelegenheiten auslassen, geschweige denn über BAFöG, Unigesetze oder Castortransporte. Solange Profs die Uni unter sich ausmachen, wird sich nichts ändern.

...der Kohle!

Die ständigen Kürzungen im Hochschuletat führen zu Bibliotheken, die nicht mehr wissen, wovon sie die Abos wichtiger Zeitschriften bezahlen sollen und an Neuanschaffungen gar nicht mehr denken können, zu einem eklatanten Mangel an Tutorien, Übungsgruppen u. dgl., der über kurz oder lang das Ende von Lehre bedingen wird. Das Geld ist da -- gerade in den "harten Zeiten" seit 1989 haben sich die Gewinne der Unternehmen um 100 Milliarden Mark erhöht, und mit dem Geld, das im Augenblick in eine Option auf weltweite Kanonenbootpolitik investiert wird, wäre an demokratischen Unis viel getan.

...einer Studienreform, die diesen Namen verdient

Die ständigen Manipulationen an Prüfungsordnungen vermitteln der Öffentlichkeit - auch innerhalb der Uni - Reformeifer, der sich de facto auf neue Selektionsmechanismen und Verwaltungsmaßnahmen reduziert. Wir wollen z.B. Einführungen mit Tutorien, die wirklich einführen, von Lehrenden, die wirklich lehren, und über das hinaus gehen, was die Prüfungsordnung festschreibt.

...der sozialen Grundsicherung