Einführung der Juniorprofessur verfassungswidrig
Die Einführung der Juniorprofessur durch Bundesbildungsministerin Bulmahn war verfassungswidrig. Mit dieser Entscheidung gab das Bundesverfassungsgericht heute mit fünf zu drei Stimmen einer Normenkontrollklage der Länder Bayern, Sachsen und Thüringen gegen die fünfte Novelle des HRG statt. Mit der Einführung der Juniorprofessur habe der Bund, so urteilte das Bundesverfassungsgericht heute, seine Kompetenzen überschritten.
Das Gesetz, das 2002 in Kraft trat, sah vor, dass ab 2010 die sechsjährige Juniorprofessur die Habilitation als Regelqualifikation für HochschullehrerInnen ablösen sollte. Die Bundesländer hätten bis 2005 diese Rahmenvorgaben in Länderrecht umsetzen müssen. Niedersachsen hat sich hierbei als Vorreiter hervorgetan: dort arbeiten 120 der inzwischen 600 JuniorprofessorInnen. In 9 Bundesländern wurden inzwischen Gesetze zur Einführung der Juniorprofessuren erlassen; Baden-Württemberg hat sich in der Angelegenheit zurück gehalten. Die Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg, die die Juniorprofessur nicht grundsätzlich ablehnt, erwartet aber vom Land, dass es bei der laufenden Novellierung des UG jetzt verstärkt auf die Gleichwertigkeit von Habilitation und Juniorprofessur achtet -- der derzeitige Entwurf sieht auch beide Qualifikationswege vor. In diesem Sinne hat sich Minister Frankenberg bereits geäußert.
Die von Berlin vorgesehene Reform ist für Karlsruhe zu detailliert und schränkt damit den Gestaltungsspielraum der Länder zu sehr ein. Dies ist in den Augen der Mehrheit der RichterInnen ein verfassungswidriger Eingriff in die Länderhoheit, weil der Bund nur über die Rahmenkompetenz im Hochschulfragen verfügt -- dies schließe aus, dass der Bund Detailvorschriften erlasse. In ihrem abweichenden Votum vertreten drei VerfassungsrichterInnen die Ansicht, dass der Bund sehr wohl über das Dienstrecht das Hochschulwesen umgestalten kann. Das Urteil vom 27.07. lege den Handlungsspielraum des Bundes so eng aus, dass keine Gestaltung mehr möglich sei.
Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) kritisiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter Verweis darauf, dass die Karrierechancen junger DoktorandInnen sich unabhängig vom Bundesland gestalten sollten. Der fzs sieht in dem Urteil die Gefahr der völligen Provinzialisierung des Bildungswesens. Der fzs fordert eine Ausweitung der Bundeskompetenz im Hochschulbereich, damit zentrale Fragen einheitlich geregelt werden können, wenn nötig durch ein Grundgesetzänderung. Der fzs kritisierte allerdings auch die bisherige Umsetzung der Juniorprofessur: Das neue Dienstrecht werde, so der fzs, eingesetzt, um die Arbeitsbelastung von JungakademikerInnen zu erhöhen, was letztlich die erhofften positiven Impulse wirkungslos verpuffen lasse. Insofern garantieren also auch für den fzs die neuen gesetzlichen Regelungen keine Behebung der Missstände...
Die Karlsruher VerfassungsrichterInnen haben nicht nur die Regelungen die Juniorprofessur betreffend aufgehoben, sondern das gesamte 5. Änderungsgesetz zum HRG. Damit sind auch die stark umstrittenen Befristungsregelungen -- maximal 4 Jahre für WiHis, maximal 6+6 Jahre nach einem Abschluss -- zu Beschäftigungsverhältnissen im Hochschulbereich betroffen und vorerst wieder die früheren Bestimmungen des HRG von 1998 in Kraft. Was das genau bedeutet, werden wohl Gerichte entscheiden müssen, denn bestehende Befristungen in Arbeitsverträgen werden nicht automatisch unwirksam, es wird zu Unsicherheiten kommen, wenn Leute sich in eine bessere Situation einklagen wollen. Besonders betrifft dies etwa LektorInnen, deren Verträge von den Unis mit Hilfe des HRG von 2002 befristet werden konnten. (LektorInnen sind die Leute, in der Regel MuttersprachlerInnen, die an den Hochschulen den Sprachunterricht geben.) Das bereits bestehende Durcheinander wird mit Sicherheit zunehmen, wenn nebenher befristete Verträge nach dem HRG vor der 5. Änderung, nach dem HRG "neu" nach der 5.Änderung, nach dem wiederbelebten HRG vor der 5. Änderung und vielleicht bald auch nach dem HRG nach einer anstehenden 7. Änderung bestehen
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht darüber befunden, ob Juniorprofessuren überhaupt sinnvoll sind. Die in den Ländern eingeführten Gesetze zur Juniorprofessur gelten daher weiterhin, denn den Ländern bleibt es unbenommen, Juniorprofessuren einzuführen -- viele Länder werden dies auch in Ergänzung zur Habilitation tun, wenn sie es nicht schon bereits getan haben. Ohne Juniorprofessur kann man jetzt also auch in Zukunft wieder eine ordentliche Professur bekommen -- ob man es auch mit kann, wird sich zeigen. Völlig sinnlos und eine reine Fleißübung, wie von GegnerInnen oft dargestellt, muss eine Habilitiation nicht immer sein. Allerdings kann sie zum Hindernis für NachwuchswissenschaftlerInnen werden (oder gar eingesetzt werden), weshalb sie bereits jetzt zum Teil durch andere oder vergleichbare Leistungen ersetzt werden konnte. In der Diskussion durchdringen sich mehrere Ebenen, wobei die Sachebene, auf der es um den wissenschaftlichen Nachwuchs geht, nicht immer die wichtigste ist.
Man sollte das Urteil auch vor einem allgemeineren Hintergrund sehen: im Bildungsbereich werden derzeit zwischen Bund und Ländern die "Claims" neu abgesteckt. Dies zeigt sich zum Beispiel in der aktuellen Diskussion um nationale Bildungsstandards und Ganztagsschulen im Schulbereich (die letzte große bundesweite Schuldiskussion war vermutlich die um reformierte Oberstufe). Aus dem Hochschulbereich hat sich der Bund bis 1969 ganz heraus gehalten hatte. Erst im Zuge der Veränderungen im Hochschulbereich Anfang der 70er Jahre wurde die Rahmenkompetenz des Bundes im Hochschulbereich ins Grundgesetz aufgenommen und durch verschiedene Institutionen und Regelungen (vor allem das HRG von 1976) ausgestaltet. Dieses "bewährte" System wurde dann auch in den neuen Bundesländern eingeführt -- inclusive der sich bewährenden Streitpunkte: die Länder sind auf Bundesgeld (v.a. für die Forschung und für den Hochschulbau) angewiesen, wollen sich aber nicht so viele Vorschriften machen lassen und vor allem Einrichtungen auf ihrem Territorium gefördert sehen. Kaum eine Rolle spielen in den Diskussionen -- es sei hier nur mal wieder erwähnt -- weitere AkteurInnen, zum Beispiel im Schulbereich die Kommunen oder im Hochschulbereich die Studierenden.
Es geht also nicht nur um die Juniorprofessur. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn die Länder die Juniorprofessur einführen, aber eine Bundesregelung ablehnen. Diejenigen, die mit der Juniorprofessur die Qualität des wissenschaftlichen Nachwuchses gefährdet sehen und im Namen des Föderalismus die Vielfalt beschwören, müssen sich aber auch daran messen lassen, was sie für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun und welche Rahmenbedingungen sie ihm zur Qualifikation bieten. Auf die Frage, wie einheitlich oder wie uneinheitlich das Bildungssystem gestaltet sein soll, sollte aber eine ernsthafte Antwort gefunden werden -- bei der Einführung der europaweit einheitlichen Bachelor- und Masterstudiengänge sind sich die Länder inzwischen einig, dass es sich um eine tolle Sache handelt. Viele VerterterInnen der Studierenden sind weiterhin dagegen, sie sehen die Gefahr, dass dies primär zu Lasten der Studienqualität geht. Die Gefahr des Qualitätsverlustes sehen auch HochschullehrerInnen in der Einführung der Juniorprofessur; dass es die Habilitation in anderen Ländern der Welt nicht gibt, spielt jedoch keine Rolle in ihrer Argumentation. Frau Bulmahn hat unterdessen bereits eine neue Novelle des HRG angekündigt. Wir dürfen gespannt sein, welche Formen des Umgangs Bund und Länder entwickeln und welche -- und wessen -- Ziele ausschlaggebend sein werden.
Mit Spannung kann man auch auf das Urteil zum so genannten Studiengebührenverbot des Bundes erwarten. Auch hiergegen klagen Bundesländer unter Berufung auf eine Einschränkung ihrer Gestaltungsfreiheit -- hier wollen sie eher weg vom bisherigen Zustand. Die unionsregierten Länder machen aus ihren Plänen, Studiengebühren ab dem ersten Semester zu erheben, schon lange kein Geheimnis mehr.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 30.09.2004, 26.01.2005, 16.02.2005