Bundesverfassungsgericht hat über HRG6 entschieden
Die Nachricht des Tages: Das Bundesverfassungsgericht rettet den Baden-Württembergischen Minister Frankenberg vor einem Eklat. Dieser nämlich hatte gemeinsam mit anderen finster gesinnten Ministern (namentlich aus Bayern, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hamburg) gegen die 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes geklagt (HRG6), die unter anderem die Verfasste Studierendenschaft (VS), eine von der Gängelung durch Senat und Rektorat etwas unabhängigere Studierendenvertretung, als für die Ländergesetzgebung verpflichtend festgelegt hatte. Nichts davon stand in Frankenbergs neuem Landeshochschulgesetz, und hätte das Gericht gegen ihn entschieden, wäre es Material für den Papierkorb gewesen -- angesichts des aufgeblasenen Getues, das das Ministerium um das LHG veranstaltet hat, wäre das sehr peinlich gewesen. Aber Frankenberg hatte Glück, die Novelle ist höchstrichterlich als verfassungswidrig befunden worden.
In der durch professionelle PR entsprechend konditionierten Öffentlichkeit viel mehr Aufsehen erregte die Frage des "Studiengebührenverbots". Das ist vor allem deshalb höchst albern, weil es auch mit HRG6 (das ja die letzten paar Jahre Gesetz war) alle möglichen Formen von Studiengebühren gab und diese durchaus mit der Novelle vereinbar waren -- dort war nämlich lediglich von "in der Regel gebührenfreiem Erststudium" die Rede. Doch wurde die Frage der Entsolidarisierung der tertiären Bildung zu einem solchen Überlebensthema hochstilisiert, dass dieses Thema als zentraler Punkt des Urteils herauskam.
In Wirklichkeit ging es dem Gericht aller Wahrscheinlichkeit nach weder um die VS noch um Gebühren -- noch um die Unis an sich. Hintergrund des Urteils ist vermutlich ein schlichtes Statement des höchsten Gerichts im andauernden Föderalismusstreit. Das Gericht hatte sich bereits in der Zurückweisung von HRG5 (das war die Dienstrechtsreform, also Juniorprofessur und verschärfte Befristungsregelungen) entschieden auf die Seite der Länder gestellt, und nach dem glücklichen Scheitern der Föderalismuskommission im Dezember war eigentlich schon klar, dass das Verfassungsgericht das Signal aus dem HRG5-Prozess wiederholen würde.
Dass nach den juristischen Wirren der politische Kampf erst losgeht, haben unterdessen rund 300 Heidelberger Studis gemerkt und sich um 13 Uhr am Bismarckplatz zu einer Demonstration versammelt. Teils in Müllsäcke gewandet zogen sie die Hauptstraße entlang und forderten, die beim MWK längst ausgearbeiteten Pläne für Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester sofort einzustampfen und dafür endlich anzufangen, auch in Baden-Württemberg Studivertretungen zu ermöglichen, die handlungsfähig sind ohne -- wie die FSK -- Parallelstrukturen aufbauen zu müssen.
Platz für politische Auseinandersetzungen jedenfalls lässt die Urteilsbegründung (2 BvF 1/03; lesbarer in der Pressemitteilung des BVerfG dazu und der Analyse im Auftrag des ABS). Davon, dass Studiengebühren sein müssen, ist darin selbstverständlich nicht die Rede; wie oben schon angedeutet, geht es dem Gericht nur um Fragen der Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, und sein Urteil fällte es basierend auf verschiedenen Annahmen, deren Wahrheitsgehalt zudem noch als zeitabhängig erkannt wird. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Bund keine Studiengebührenverbote erlassen kann, ist beispielsweise, dass die 500 Euro pro Semester gegenüber den Lebenshaltungskosten "deutlich untergeordnet" seien. (Das Gericht geht davon aus, dass die Gebühren, die jetzt eingeführt werden, sich in dieser Höhe bewegen.) Sobald Studiengebühren realistischen Niveaus (ab 2000 Euro aufwärts) erreichen, würde sich jedenfalls diese Argumentation ändern.
Ähnliches gilt für die Einschätzung des Gerichts, dass ja die Studierenden auch im Süden prima handlungsfähig seien und sich deshalb die Verordnung der VS erübrige -- die Richter haben vermutlich noch nie versucht, mit Geldern der Studierendenvertretung einer Studierendeninitiative wie URRmEL bei einmaligen Investitionen zu unterstützen oder gar ein Studiticket auszuhandeln. In dem Maß, in dem die teilweise skandalösen Verhältnisse hier -- die, das geben wir zu, punktuell durch persönliches Engagement auf beiden Seiten gemildert werden -- das kollektive Karlsruher Bewusstsein erreichen, könnten auch diese einsehen, dass die VS keine Zumutung an die Länder, sondern Minimalforderung für im Interesse der Studierenden funktionierende Hochschulen ist.
Also: Das Verfassungsgericht hat mitnichten festgestellt, dass Studiengebühren verfassungsgemäß sind und schon gar nicht ihre Notwendigkeit behauptet. Es hat nur festgestellt, dass der Bund sie unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen weder verbieten noch vorschreiben kann. Es ist auch nicht die Rede davon, dass eine relevante Studierendenvertretung für Unis verzichtbar wäre -- nur, dass es dazu keine bundesgesetzliche Regelung braucht. Ob die Gebühren kommen und die VS ein Traum bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Dieses Blatt wird von uns geschrieben, und uns und von allen, die den Gebühren- und Entdemokratisierungsplänen der Länder Widerstand und wirkliche Reformideen (wie wärs etwa mal mit neuen Lehrformen oder anderen Inhalten?) entgegensetzen können -- und müssen.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 02.02.2005, 16.02.2005, 27.07.2005, 19.04.2006