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UNiMUT aktuell: Noch nicht vorbei

Noch nicht vorbei (06.10.98)

Wahlpamphlete

Die Beute eines Abends: Bunte Zettel haben fast alle verteilt.

Für Heidelberg ist der Wahlkrampf noch nicht vorbei: Am übernächsten Sonntag wird einE neueR OberbürgermeisterIn gewählt, nach Art des Reichspräsidenten der Weimarer Republik direkt vom Volk und für acht Jahre. Um Anhaltspunkte für diese wichtige Entscheidung zu bieten, trafen sich die verschiedenen KandidatInnen gestern in der Stadthalle zum direkten Rededuell.

Im Angebot waren Oliver Beßler von der FAU/AP, Peter Alexander Plattmann vom Autonomen Zentrum, Nikolaus Lach^H^H^H^HLindemann in eigener Sache, Dorothea Paschen von den Grünen, Wolfgang Fürniß von der CDU, Margret Dotter mehr oder weniger von der internationalen Liste, Wolfgang Lachenauer von der Freie-Wähler-Rechtsabspaltung "Heidelberger" und natürlich Titelverteidigerin Weber von der SPD, die sich anders als Noch-Kanzler Kohl dieser Auseinandersetzung mutig stellte. Bürgermeister "präzisieren Sie das" Schultis moderierte die Veranstaltung, die übrigens von der Stadt selbst ausgerichtet wurde -- die Gemeindeverfassung unseres Landes räumt den Kommunen ein Recht zu sowas ein.

Als vorteilhaft erwies sich die Sinnlosigkeit des ganzen Zirkus -- es ist ohnehin klar, dass Weber wiedergewählt wird --, denn nur so konnte das Lachen über die hohlen Phrasen zudem der ordentlich männlichen Kandidaten aus vollem Herzen kommen, statt von Herzensbeklemmung gedämpft zu werden.

So oder so, einige Highlights der Veranstaltung finden hier schon Platz: "Ich bin stolz, ein Heidelberger zu sein", so der Möchtegern-"Stadtmanager" Lachenauer in seinem Eingangsstatment -- mensch ahnt, dieser Kandidat ist Jurist. Womit auch schon zu erwarten war, dass er jede Antwort auf Publikumsanfragen stereotyp mit der Bemerkung einleitete, hier liege eines der größten Probleme Heidelbergs.

OB Weber lobte sich, die vergangenen acht Jahre hätten dem Ruf der Stadt gut getan, überhaupt sei alles tierisch zukunftsweisend und sie freue sich darauf, das Begonnene weiterzuführen. Richtig ist wohl, dass ein weiterer Verkehrsentwicklungsplan, wie ihn Lachenauer wollte, nicht zukunftsweisender sein würde als das, was unter Weber gelaufen ist. Webers große Minute kam, als sie dem über die Landesliste in den Bundestag gerutschten FDP-Kandidaten Niebel über den Mund fuhr, nachdem er sich beklagt hatte, eine Veranstaltung mit "Außenminister und Vizekanzler" Kinkel habe nicht auf der Neckarwiese stattfinden dürfen. Wers verpasst hat, vielleicht, weil er/sie zu früh gegangen ist: Pech gehabt.

Margret Dotter, die Frau mit den sozialistisch-realistischen Plakaten, erzählte von ihrer Vision, sich für die Bürger und nicht für eine Partei einsetzen zu können. Sie ist zwar wirklich keine Sozialistin (sie will sich statt mit ParteigenossInnen mit ExpertInnen aus Wirtschaft und Wissenschft beraten und ihre BürgerInnen als geschätzte Kunden behandeln), hielt aber dennoch die abstrakteste, ideologischste Rede, in sie ausführlich darlegte, warum es doof ist, wenn der/die OB in einer Partei ist. Zur Beurteilung des Publikums mag die Beobachtung nützlich sein, dass dessen heftigste Reaktion auf die Rede in anzüglichem Gemurmel bestand, nachdem die Schwedin Dotter versprochen hatte, eine Hotline ins Rathaus einzurichten.

Der Rücksicht halber breiten wir über den Beitrag des CDU-Kandidaten Fürniß den Mantel des Schweigens -- erstaunlich, woher die CDU immer all diese seichten Gemüter nimmt. Glücklicherweise wurde er später auch nicht viel gefragt, so dass die ZuschauerInnen des Spektakels nicht allzu viel von seinem Gewäsch anhören mussten. Immerhin: über den Sportplatz Wieblingen durfte er schon mal dozieren, und ein Claqueur musste unbedingt seine Überzeugung loswerden, dass Fürniss bestimmt einen "dringend benötigten Innovationsschub für Einzelhandel, Handwerk und Gastronomie" auslössen werde, wenn er gewählt würde. Der Tip des Redakteurs: 25%-x.

Auszug des Kandidaten

Peter Plattmann präsentierte beim Auszug aus dem Veranstaltungraum nochmals seine Idee zur Lösung der Heidelberger Verkehrsprobleme.

Dorothea Paschen versuchte mit dem Hinweis auf ihren Beruf, eine Parallele zu Ronald Reagans Erfolg vorzubereiten und wusste zu berichten, sie sei auch 30 Jahre verheiratet (Anspielungen auf ein besonders schlechtes Plakat des Kandidaten Fürniß entwickelten sich an diesem Abend zum running gag: Peter Plattmann beklagte sich, mit seinen 28 Jahren könne er unmöglich schon 30 verheiratet sein). Ansonsten betonte sie, sie sei die einzige Kandidatin, die bestimmt gegen den Neckartunnel steht. Abgrenzen wollte sich Paschen von den anderen KandidatInnen weiter durch die Forderung nach der Solarstadt Heidelberg, denn Solartechnologie sei der Markt der Zukunft. Keine Unterschiede konnte der Redakteur in der Phraseologie Marke "Flächenmanagement" feststellen.

Privatier Lindemann, Telekommunikationsingenieur, kümmerte sich vor allem ums Verkehrschaos und empfahl einen Parkplatz unter dem Schloss und will das mit einer Wohnbrücke über irgendwelche Straßen realisieren. Ansonsten beendete er seine etwas wirre Rede angenehm schnell.

Plattmann verkündete zunächst, er sei von seiner Mutter und von Schultis ermahnt worden, "keinen Scheiß zu machen". Trotzdem hängte er ein Transparent auf, das Schultis prompt entfernen ließ. Anschließend bat er die Zuschauer, "um das ganze etwas interaktiv zu gestalten" doch die Hand zu heben, wenn sie ihn definitv nicht wählen werden. Die erstaunlich geringe Zahl erhobener Hände lässt durchaus den Schluss zu, dass durch ein Eingreifen der Schweinefee der nächste Bürgermeister den Vornamen Peter tragen könnte. Ansonsten bekam seine Multimediashow mit einer überzeugenden Gesangseinlage um Längen am meisten Applaus, wenn auch nicht vom Tisch der "ernsthaften" KandidatInnen. Plattmanns Motto "Krawatten statt Krawalle" verlor durch die zum Ende seiner Rede reichlich fliegenden Plüschtiere allerdings etwas an Glaubwürdigkeit. Programmatisches von Peter Plattmann war übrigens schon in UNiMUT 152 zu lesen.

Oliver Beßler beschwor charismatisch den Niedergang des Kapitalismus und wiederholte die Marx'sche Alternative "Sozialismus oder Barbarei". Ansonsten reimte er vom schwarzen Dreck, der endlich weg sei und vom Schröder, unter dem alles noch viel blöder werde. Dann rechnete er recht treffsicher mit den anderen KandidatInnen ab. Die richtig coolen Forderungen kamen von ihm dann eh erst in der Publikumsrunde: "ÖPNV rund um die Uhr zum Nulltarif".

Ziemlich pünktlich um halb elf beendete Schultis die Veranstaltung. Auch die letzte Frage aus dem Publikum hatte nochmal Unterhaltungswert: Einer der Senioren unserer Stadt wollte wissen, was mensch denn tun solle, wenn mensch durch pure Willkür der städtischen Verwaltung der Führerschein abgenommen bekomme und brauchte dazu so lange, dass der ganze Saal anschließend fest überzeugt war, die Verwaltung habe in den letzten acht Jahren mindestens eine korrekte Maßnahme ergriffen.

Wer von den LeserInnen in acht Jahren noch in Heidelberg ist, sollte sich die dann anstehende Veranstaltung dieser Art nicht entgehen lassen: Entertainment at its best.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 12.12.2001, 04.10.1999


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Erzeugt am 06.10.1998

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