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UNiMUT aktuell -- November 2006

„Elite-Unis in Deutschland? Spitzenbildung oder Etikettenschwindel?“

Elite sein oder nicht sein (10.11.2006)

"Elite-Unis in Deutschland? Spitzenbildung oder Etikettenschwindel?" - Das war das Motto des vom Spiegel organisierten Diskussionsforums am Montag, dem 6.11.06. Austragungsort war die Alte Aula in der Heidelberger Altstadt und gut besucht ging die Debatte um 19 Uhr los.

Herr Dr. Martin Doerry, Stellvertretender Chefredakteur DER SPIEGEL, übernahm die Rolle des Moderators und saß gleich zur Linken von Prof. Dr. Dres. h. c. Peter Hommelhof, Rektor der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Zu dessen Rechten war Herr Dr. Wolfgang Gawrisch vertreten, Mitglied der Gemeinsamen Kommission Exzellenzinitiative sowie des Bewilligungsausschusses. Vom Publikum aus ganz links plaziert war Herr Reinhard Lask, Student der Politologie und bei der Heidelberger Studentenzeitung "Ruprecht" aktiv. Am anderen Ende des Tisches saß die einzige Frau in der Runde, Dorothea Kaufmann, die kürzlichen ihren Bachelor of Arts im Fach Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg erlangt hat. Zwischen ihr und dem Moderator war zu guter Letzt Herr Prof. Dr. Michael Hartmann vom Institut für Soziologie der Technischen Universität Darmstadt vertreten.

Ob die einzelnen Diskussionsteilnehmer auf die Leitfrage des Abends geantwortet haben, blieb dem Interpretationsspielraum des Zuhörers überlassen.

Herr Hommelhof hob die "auf Dauer angelegte Umstrukturierung" der Hochschlulandschaft hervor, die politisch gewollt sei. Es werde eine Aufteilung in reine Ausbildungsuniverstiäten einerseits und Forschungsuniversitäten andrerseits vorangetrieben. Er sehe allerdings die Notwendigkeit neben Forschung ebenfalls gute Lehre zu gewährleisten, da diese Forschung erst ermögliche. In diesem Sinne bedauerte er, dass das Kriterium der Lehrausbildung nicht im Rahmen der ersten Runde des Exzellenzwettbewerbs beachtet worden war. Herr Hommelhof gab durchaus zu, dass die derzeit betriebene Umstrukturierung die Geisteswissenschaften benachteilige und rief ausdrücklich die Geistes- und Sozialwissenschaftler dazu auf, sich am politischen Diskurs zu beteiligen. Darüber hinaus unterstrich er, dass die Universitäten vor allem Geld bräuchten und er lieber im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs sich darum bemühte "einen Spatzen in der Hand zu halten als einer Taube auf dem Dach" nachzujagen.

Warum die Heidelberger Universität trotz Konzeptähnlichkeiten mit der Münchner Universität den Exzellenztitel nicht bekommen hat, konnte er an diesem Abend nicht begründen und versprach eine Begründung noch zu liefern. Er bekräftigte seinen Wunsch eine Volluniversität in Heidelberg zu erhalten und empfahl den Studierenden ihre Beteiligungsmöglichkeiten in der Studienkommission und in direkten Gesprächen mit Frau Leopold, der Heidelberger Prorektorin, und ihm zu suchen. Seiner Ansicht nach reichten diese Maßnahmen, um für existierende Probleme Lösungen zu finden. Materielle Probleme würden mit der Einführung der Studiengebühren weitestgehend behoben werden können.

Herr Hartmann belegte die Umstrukturierungsmaßnahmen mit Zahlen, welche die "Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Anspruch" sehr deutlich vor Augen führt: Der Zunahme der Studierendenzahlen um über 30% von heute knapp 2 auf 2,7 Mio im Jahr 2020 würden die Bundesregierung und die Länderregierungen mit jeweils 1 Mrd. Euro zusätzlich pro Jahr begegnen wollen. Allerdings liege der vom Wissenschaftsrat errechnete Bedarf allein in den Jahren 2012 bis 2014 bei jährlich 2,2 Mrd. Euro. Gleichzeitig stecke der Bund 1,9 Mrd. Euro allein in den nächsten fünf Jahren in nur vier Hochschulen mit Eliteuniversitätstitel. Dass es sich bei diesen und denen, die für ihre Exzellenzcluster prämiert wurden, vor allem um Universitäten in Baden-Württemberg und Bayern handelt, sowie um technisch ausgerichtete Universitäten ist für Herrn Hartmann kein Zufall. So profitierten die süddeutschen Länder von einem Abiturientenexport und einem Akademikerimport. Darüber hinaus hätte die Deutsche Forschungsgesellschaft, die sich vor allem aus Naturwissenschaftlergruppen zusammensetze, die Geisteswissenschaften "runterfallen lassen" wollen. Dafür spricht auch, dass nur eins von 17 prämierten Clustern geisteswissenschaftlicher Natur ist. Es müsse offen darüber geredet werden, was politisch gewollt sei und bewilligt werde. Die derzeitige Entwicklung fördere naturwissenschaftliche Universitäten, insbesondere jene mit medizinischen Schwerpunkten. Nicht nur die Geisteswissenschaften, auch die Juristen hätten auf Dauer das Nachsehen. Dafür wäre u.a. die Universität Göttingen ein Beispiel.

Herr Hartmann sieht eine Aufspaltung der Universitätslandschaft auf uns zukommen, welche die Universitäten unterscheide nach Forschungsuniversitäten mit Elitetitel, solchen mit Exzellenclustern, Forschungsuniversitäten ohne finanzielle Mittel und schließlich die Ausbildungshochschulen. Die breite Masse werde auf Dauer verlieren. Ungeachtet dieser Ungereimtheiten und ungeachtet der Tatsche, dass Anträge mangels nötiger Ressourcen bei dem Wettbewerb zurückgezogen wurden, hätten die Mitglieder der Entscheidungskommissionen wissenschaftspolitische Entscheidungen getroffen, als ob jeder gewinnen könne. Das Siegel "Exzellenzuni" zementiere nur das Prinzip des Wettbewerbs, das offensichtlich lauten würde: Wer hat, dem wird gegeben.

Herr Gawrisch lobte den Paradigmenwechsel, der schon stattgefunden habe und sich durch den Exzellenzwettbewerb zeige. Aufgrund des Globalisierungsdruckes sei es notwendig, gute Leute an die Spitze zu bringen. Um nicht den Anschluss auf dem Weltmarkt zu verlieren, müssten die Bedingungen geschaffen werden, die nötig seien, um wirtschaftlich relevante Patentanmeldungen zu ermöglichen. Derzeit seien die Chinesen auf diesem Gebiet in beängstigender Weise federführend. Mit dem Auswahlverfahren war Herr Gawrisch uneingeschränkt zufrieden und behauptete, dass die Lehre durchaus berücksichtigt worden wäre. Die Prämierung habe außerdem 22 Universitäten zu Eliteuniversitäten erhoben und nicht nur drei. Sozialwissenschaftler, die das Ergebnis kritisierten, könne man durchaus erhören. Alle Universitäten sollten sich angesprochen fühlen, bei der nächsten Runde ihre Anträge einzureichen. Das sei bei der eben abgeschlossenen leider nicht der Fall gewesen. Es werde nur beurteilt, was schriftlich vorliege. Dies ist u.a. ein Kriterium, weshalb Herr Garwisch das gesamte Auswahlverfahren als insgesamt sehr objektiv bewertete.

Frau Kaufmann betrachtete sich selber als Repräsentantin der zur Diskussion stehenden Elite. Sie lobte die elitären Ausbildungsbedingungen, die ihr in ihrem Studium begegnet waren und kritisierte den im Vergleich zu asiatischen Studierenden bestehenden Mangel an Leistungsbereitschaft hiesiger Kommilitonen. Letztere seien nur allzu selten bereit, regelmäßig bis zu 12 Stunden im Labor zu stehen und Forschungsarbeit nachzugehen. Eine weitere Förderung von Eliteuniversitäten befürwortete sie ausdrücklich, damit mit dem "besseren Ausgangsmatieral" die selbstverständlich besseren Ergebnisse gesellschaftfördernd zum Zuge kommen könnten.

Herr Lask wies stattdessen auf die prekären Studienbedingungen in der Politologie hin und verglich die ganze Exzellenzinitiative mit einer Hauptstraße, die auf Kosten der Nebenstrassen unter Flutlicht gestellt würde. Seiner Meinung nach wäre es Zeit gegen die bestehenden Zustände zu demonstrieren, was Herr Hommelhof seinerseits bestritt.

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Kommentar zum Elitepodium

Des Kaisers neue Kleider (12.11.2006)

Des Kaisers neue Kleider - so und nicht anders hätte das Motto der Diskussionsrunde heißen sollen. Als Funktionsträger im durchaus staatlichen Auftrag kam Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Peter Hommelhof die traurige Rolle des Kaisers zu. Herr Dr. Wolfgang Gawrisch wäre am ehesten mit den beiden Betrügern des Andersenmärchens gleichzusetzen. Frau BA Dorothea Kaufmann hatte sich offensichtlich als dumm herausgestellt. Herr Reinhard Lask schien die Stimme der Unschuld zu sein und Herr Prof. Dr. Michael Hartmann dessen Vater. Doch im Gegensatz zum Märchen, flüsterte Herr Hartmann seine Befürwortung nicht, sondern sprach für alle hörbar. Ob das, was er sagte verstanden wurde, wird die Zukunft zeigen müssen. Noch hat das Volk nicht geschrieen. Noch hat es sich nicht dazu entschieden, zu sagen, was es sieht. Man fragt sich, ob es die Augen überhaupt geöffnet hat. Zumindest das anwesende Publikum schien mutig genug geworden zu sein und bekräftigte seine kritische Haltung immer wieder mit lautstarkem Applaus, wenn es darum ging den Verrat anzuprangern, der derzeit am verfassungsrechtlich verankerten Bildungsauftrag begangen wird.

Zur Erinnerung: unter Art. 7 GG Abs. 4 hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet "eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern" nicht zu fördern. Zugegeben, es handelt sich um einen Absatz, in dem es um die Zulassung von Privatschulen geht und um einen Artikel, der das Schulwesen und nicht das Hochschulwesen berührt. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass das dort verankerte Prinzip dem im Art. 3 GG postuliertem Recht auf Chancengleichheit entspricht und auch für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens im Rahmen des Art 75 des GG gilt.

Es gibt gute Bildung in Deutschland. Ohne Zweifel. Es gibt auch elitäre Universitäten in Deutschland. Doch ob diese den Titel Elite-Uni im Sinne einer Harvard-, einer Stanford-, Cambridge-, Yale-Universität oder ENA verdienen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Werden die zur Verfügung stehenden Mittel verglichen, kann nur der Stempel "Etikettenschwindel" aufgedrückt werden. Daran werden auch die 1,9 Mrd. Euro, die im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs in den nächsten fünf Jahren investiert werden, nichts ändern.

Ebenso dreist ist die ganze Diskussion um eine gezielte Förderung von Elite. Es wird so getan, als würde unabhängig vom Geldbeutel nur der begabte Geist gefördert. Als würde im freien und gleichen Wettbewerb der objektiv klügste Kopf prämiert. Das feinste Gewebe gesucht und weiterverarbeitet, um beim Vergleich mit dem Märchen zu bleiben. De facto verschlechtern sich die Bedingungen, das eigene intellektuelle Potenzial zum Ausdruck zu bringen mit dem von Herrn Dr. Gawrisch hoch gelobten Paradigmenwechsel dramatisch, sofern man nicht zur Finanzelite zählt. Gebührenpflichtige Aufnahmetests, Studiengebühren von mind. 500 € pro Semester im Erststudium, bis zu 1.500 € für nichtkonsekutive Masterstudiengänge, Promotionen und Zweitstudiengänge, ab 2010/2011 auch für konsekutive Masterstudiengänge kommen zu den üblichen Lebenshaltungskosten und Materialkosten für's Studium gesetzlich verordnet für alle obendrauf. Der alleinverdiendene Familienvater eines statistischen Vierpersonenhaushalts mit einem monatlichem Durchschnittsverdienst von 3.452 € brutto, vorausgesetzt er war 2005 Angestellter, und nur noch 2.542 € brutto im selben Bezugszeitraum als abhängig beschäftigter Arbeiter, wird es sich sicherlich mehrfach überlegen, ob er seinem vielleicht durchaus talentiertem Sprössling eine Hochschulbildung angedeihen lässt, die über das primäre Ziel sich möglichst schnell selber die nötigen Brötchen verdienen zu können hinausgeht.

Wie gesagt, es existiert in Deutschland schon längst eine Elite. Doch bisher hat man nicht darüber geredet. Vielleicht war der Elitebegriff zu sehr belastet durch die Naziideologie? Das Thema Elite war in Deutschland im Gegensatz zu unseren französischen und angelsächsischen Nachbarn tabu. Ambitionierten Arbeitnehmern gleich welchen Geschlechts begegnet die deutsche Elite tagtäglich in Form der durchaus bekannten "gläsernen Decke", die scheinbar unsichtbar aber dennoch nachhaltig die Mitglieder der deutschen Elite vor denen, die nicht dazugehören, "schützt". Traurig, doch vielleicht psychologisch nur konsequent, dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Kanzler, der es aus ärmlichsten Verhältnissen bis ins höchste Staatsamt geschafft hat, die ganze Elitediskussion in Deutschland losgetreten hat. Es darf bezweifelt werden, dass er die jetzige Entwicklung im Sinn hatte. Womit wir beim nächsten Vergleich wären.

Herr Hommelhoff, Herr Gawrisch seien Sie dessen versichert, wir Geistes- und Sozialwissenschaftler werden uns am begonnen Diskurs beteiligen. Wir werden schon unseren Beitrag leisten, um den gerufenen Geistern entgegenzutreten.

Doch leider müssen selbst wir einräumen, dass unser Erfolg davon abhängig sein wird, ob all die Zauberlehrlinge, Kaiser, grundehrlichen Beamten und Staatsbürger dieser Republik es schaffen, ihre Angst als dumm dazustehen zu überwinden. Ob sie sich trauen werden im Sinne der Solidarität, im Sinne der Nächstenliebe - um im so vehement von Politikern der südlichen Bundesländer gefordertem Bezug zum Christentum zu bleiben -, die sich derzeit verfestigende Spaltung der deutschen Gesellschaft in immer mehr Schlechtergestellte und immer weniger Bessergestellte anzuprangern und zur Besonderheit des deutschen Marktsystems zurückzufinden: der sozialen Komponente.

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Kommentar zum Exzellenzwettbewerb

Sind Sozial- und Geisteswissenschaftler evolutionsbedingt passé? (12.11.2006)

Mit Veröffentlichung der Ergebnisse des Exzellenzwettbewerbs war die Katze aus dem Sack gelassen: die Geistes- und Sozialwissenschaften sind die Verlierer schlechthin. Nur einer von 17 Exzellenzclustern entfällt auf diese Studienausrichtungen und nur vier von 18 Gradiertenschulen. Lediglich eine einzige der drei für ihr Zukunftskonzept prämierten Universitäten, die LMU in München, integrierte die Geistes- und Sozialwissenschaften. Doch leider wird ihnen selbst dort kaum Bedeutung beigemessen.

Glaubt man den Recherchen, die von den beiden Zeitredakteuren Ulrich Schnabel und Martin Spiewak in ihrem Artikel "Die Topographie der Exzellenz" vom 19.10.06 zusammengetragen wurden, dann wären insbesondere die Geisteswissenschaftler nicht besonders für eine "Zusammenarbeit in großen Forschungsverbünden" geeignet. Dann bräuchten vor allem sie "Zeit und Muße zum Nachdenken".

Mit dieser Form der Eigenbrötlerei hätten sie sich selbst ins eigene Fleisch geschnitten: Zum einen hätten durchaus kluge Köpfe erst gar keine Anträge eingereicht. Zum anderen scheinen sie zu sehr dem genauen Denken verpflichtet und über ihre fachspezifische Stärke wie über die eigenen Füsse gestolpert zu sein. So hätten die geisteswissenschaftlichen Fachgutachter laut Aussage eines Jurymitglieds mit "disziplinspezifischem Kannibalismus" geglänzt. Diese Form der Kritik hätte bei den entscheidenden Abstimmungen in vielen Fällen den Ausschlag zur Benachteiligung der Geisteswissenschaften gegeben.

Ist es wirklich so? Gehören die in Deutschland arbeitenden Geistes- und Sozialwissenschaftler wirklich zu einer Gruppe Wissenschaftler, die sich quasi masochistisch selbst zerfleischen und den Ast auf dem sie sitzen systematisch selber absägen?

Machen die sozial- und geisteswissenschaftlichen Studienzweige blind für ökonomische Zusammenhänge? Oder noch schlimmer: schalten sie auf Dauer den gesunden Menschenverstand und angeborenen Überlebensinstinkt aus? Ist der typische Sozial- und Geisteswissenschaftler im Kampf der Fittesten berechtigterweise unterlegen und für ein Leben in globalisierten Zusammenhängen ungeeignet - gar überflüssig?

Dies darf man bezweifeln -- massiv. Widersprechen muss man auch dem, durch das Ergebnis des Exzellenzwettbewerbs implizit zum Ausdruck gebrachten, Urteil, die Geistes- und Sozialwissenschaften seien irrelevant für die Zukunft und mit ihnen wäre der Weg zur "Weltspitze der Wissenschaft" nicht machbar.

Noch ist ein Staat kein Aktienunternehmen mit Vorstand und Aufsichtsrat, noch brauchen wir gut ausgebildete Politiker, Staatsbeamten und mündige Staatsbürger. Letztere werden nicht allein durch die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer ausgebildet. Selbst die Wirtschaft müsste dies begreifen, denn gerade die Wirtschaftsvertreter schimpfen am lautesten über unzulänglich gebildete Mitarbeiter. Wie sonst, als mit den auch sozialwissenschaftlich ausgebildeten Lehramtsstudenten sollte eine bessere Schule gesichert werden können? Wie sonst, als mit Studenten aller sprachwissenschaftlichen Richtungen sollten der Staat und die Wirtschaft sich mit "Humankapital" ausstatten, welches mit der globalisierungsbedingten Notwendigkeit der Sprach- und Kulturmittlung umzugehen weiß. Wie sonst, als durch ein Studium der Soziologie, Geschichte und Philosophie, um nur einige zu nennen, sollten Antworten auf Fragen gefunden werden, die derzeit aufgeworfen werden? Oder ist es schon beschlossene Sache, dass wir als Gesellschaft uns dem Diktat des Kapitals unterwerfen, dass es keiner politischen Korrektur bedarf, dass wir soziologische und historische Erkenntnisse zu den Ursachen von Gewalt, Terrorismus und Krieg nicht benötigen?

Im Übrigen wird die "Weltspitze der Wissenschaft" nicht nur von Naturwissenschaftlern und Medizinern gebildet. Meines Wissens gehören auch die Brüder Humboldt, Albert Einstein, Christa Wolf oder Niklas Luhmann zur Spitze.

Nachtrag: Für einen schnellen Überblick zum Thema Geistes- und. Sozialwissenschaften seien folgende Links genannt: Geisteswissenschaften , Sozialwissenschaften

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Kommentar für politisch Unschlüssige

Warum sollte ich demonstrieren gehen? - Warum sollte ich politisch aktiv sein? (12.11.2006)

In Gesprächen mit Kommilitonen und Dozenten tauchen immer wieder folgende Fragen auf:

Warum sollte man sich mit dem Thema Bildungspolitik auseinandersetzen? Warum sollte man sich als Studierender der Geistes- und Sozialwissenschaften für politische Arbeit einsetzten und bei der Gremienarbeit mitmachen? Warum auf die Straße gehen und protestieren, bei Demos mitmachen, die doch eh nichts bringen?

Darauf gibt eine denkbar einfache Antwort: Wenn es nicht die Menschen tun, die unter bestimmten Zuständen leiden, dann nutzen diejenigen, die von denselben Zuständen profitieren, das Stillschweigen aus, verfolgen ihre Ziele und werfen den Schweigenden auch noch vor, dass diese nicht zu gegebener Zeit ihre Beteiligungsmöglichkeiten ausgenutzt haben.

Dies ist keine neue Erkenntnis. Sondern wird schon so alt sein, wie das Bewusstsein um gruppendynamische Zusammenhänge überhaupt. Leider ist dieser Mechanismus aktuell am Montag, den 6.11.06 in Heidelberg anlässlich des Spiegel-Forums sehr gut zu beobachten gewesen.

Sowohl der Heidelberger Rektor, Peter Hommelhof, als auch sein Professorenkollege, der Soziologe, Michael Hartmann, stellten fest, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften im Rahmen der Exzellenzinitiative unterrepräsentiert waren. Für Herrn ist dies eindeutig eine Folge der Art und Weise, wie dieser ganze Exzellenzwettbewerb organisiert worden ist. So habe die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Geisteswissenschaftler hinten "runter fallen" lassen wollen. Was sicherlich damit zusammenhinge, dass sich die in ihr organisierten Forschungsgruppen ausschließlich aus Naturwissenschaftlern zusammensetzten.

Die Umstrukturierung der Hochschullandschaft in Ausbildungs- und Forschungsuniversitäten begründete Herr Hommelhof mit dem politischen Willen. Er und Wolfgang Gawrisch, Mitglied der Gemeinsamen Kommission Exzellenzinitiative und des Bewilligungsausschusses, behaupteten zwar, die Sozial- und Geisteswissenschaftler erhören zu wollen, doch es können berechtigt Zweifel an diesen Lippenbekenntnissen angemeldet werden. Dazu später mehr.

Bleiben wir noch beim Auswahlverfahren: Viele der Universitäten, die weniger gut finanziell ausgestatten sind, haben nach Aussagen von Herrn Hartmann -- Herr Gawrisch bestätigte dies -- ihre Anträge beim Exzellenzwettbewerb wieder zurückgezogen, wenn sie denn überhaupt welche eingereicht hatten.

Dennoch empfindet Herr Gawrisch das Ergebnis, das ganz offensichtlich die technisch und medizinisch orientierten Universitäten bevorzugt, als objektiv und zwar allein aufgrund der Tatsache, dass auf Grundlage schriftlich eingereichter Texte entschieden worden sei.

Mit Verlaub, dieses Kriterium ist arg zweifelhaft. Das hört sich so an, als wenn der Hase im Wettbewerb mit dem Igel gewonnen hätte und dann so täte, als sei er der objektiv Schlauere gewesen. In diesem Wettbewerb haben sich nicht die Universitäten mit dem größten intellektuellen Potenzial durchgesetzt, sondern diejenigen, welche die besten Ausgangsbedingungen hatten, d.h. das meiste Geld. Um auf den Vergleich zurückzukommen: die längeren Beine.

Die relevanten Fragen an die Gesellschaft als Ganzes lautet: Wollen wir eine weitere Begünstigung einer eh schon begünstigten sozialen Schicht oder wollen wir gezielt intellektuelles Potenzial unabhängig von persönlichen, materiellen Voraussetzungen fördern? Wenn wir intellektuelles Potenzial fördern wollten: Wollen wir uns wirklich auf die Naturwissenschaften, insb. Medizin beschränken oder wollen wir auch den Sozial- und Geisteswissenschaften ihren Raum lassen?

Nach Gawrisch und Hommelhof hätte sich die Gesellschaft entschieden zugunsten der Naturwissenschaften und der Medizin. Diese Bereiche zu fördern sei der politische Auftrag. Ändere sich dieser, würden sie sich anders verhalten. Das war die implizite Botschaft.

Ich komme zurück auf die oben angeschnittene Frage: Haben diese beiden Herrn eigentlich ein Interesse daran? Das ist nur zu beantworten, wenn hinterfragt wird, welche Funktionen sie wahrnehmen und welche Aufgaben sie deswegen zu erfüllen haben.

Fangen wir mit Rektor Hommelhof an. Seine vornehmste Aufgabe nach Außen besteht in der Repräsentation der Universität Heidelberg. Gleichzeitig hat er nach Innen die der Universität Heidelberg zugewiesenen Gelder so effizient wie möglich zu verwalten und die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der Universität zu stellen. Sein Ziel ist also in erster Linie, den Schein aufrechtzuerhalten, dass es sich bei der Heidelberger Universität um eine hervorragende Universität handelt und sie daher mehr finanzielle Förderung verdient. Dieses Ziel verbindet ihn mit nahezu allen anderen Universitätsrektoren und Funktionsträgern in Leitungsfunktionen, wie z.B. Instituts- und Seminarleitern. Diese Doppelfunktion als Marketingchef nach Außen und Finanzcontroller nach Innen begünstigt ökonomisch geprägtes Verhalten nach dem Motto: Lasst uns in die Fächer investieren, die am meisten Prestige ermöglichen und für die es viele Fördermittel gibt. Ein kluger Kopf prägte für ein derartiges Verhalten den Begriff der "Imageethik". Meines Erachtens wird sie strukturell gefördert, d.h. letztendlich durch die Gesellschaft als Ganzes mitgetragen und aufrechterhalten. Den Anforderungen dieser Imageethik entsprechen derzeit lediglich naturwissenschaftliche Fächer wie z.B. Molekulare Biotechnologie und Medizin. Alles andere fällt tatsächlich einfach hinten über.

Herr Gawrischs Funktionen sind vielfältig und man fragt sich, wem gegenüber er wirklich loyal ist. So hat er nicht nur die beiden oben genannten Funktionen inne, sondern ist hauptberuflich "Chief Technology Officer" (CTO) und Vorsitzender des Sustainability Council der Henkel KGaA. Zu Deutsch: Leiter der zentralen Abteilung Forschung und Technologie und Vorsitzender des Henkel Nachhaltigkeitsrates. Darüber hinaus sitzt er in zwei Beiräten: 1. bei Phenion und 2. bei SusTech (Sustainable Technologiees). Beide Unternehmen entstanden aus "Joint Ventures" mit Universitäten: Bei Phenion war die Uni Frankfurt maßgeblich involviert, inzwischen ist Phenion eine 100% Tochter von Henkel. SusTech bleibt ein Public Privat Partnership mit der TU Darmstadt, obgleich Henkel die Anteilsmehrheit hat. Seine Motivation dürfte darin begründet sein, soviel Geld wie möglich von der Bildungsförderung für die von der Henkel mit initiierten Projekte abzuschöpfen. Dass Gawrisch die Sozial- und Geisteswissenschaftler als Stiefkinder behandelt, dürfte auf der Hand liegen. Ebenso wie die Tatsache, dass er sicherlich kein Interesse daran haben dürfte, dass sich die Geistes- und Sozialwissenschaftler stärker in den Wettbewerb einbringen und sich um zu verteilende Staatsgelder im Bereich der Bundespolitik bemühen.

Beider Aussagen, man wolle die Sozial- und Geisteswissenschaftler erhören, wirken daher wirklich sehr halbherzig. Damit sie und alle anderen Rektoren, Politiker und Wirtschaftsvertreter dennoch gezwungen sind, die Geistes- und Sozialwissenschaflter ernst zu nehmen und deren Anliegen auch materiell zu berücksichtigen, ist ein koordiniertes Aufbegehren seitens der Sozial- und Geisteswissenschaftler unabdingbar.

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Aufruf zur Demonstration am Do, 16.11.06, 14.00

Ich kam, sah - und ging (12.11.2006)

In den letzten Jahren wird den geisteswissenschaftlichen Disziplinen kontinuierlich jegliche finanzielle wie personelle Grundlage entzogen. Allseits bekannt stehen den Universitäten allgemein - und so auch der Universität Heidelberg - weniger Gelder zur Verfügung. Umso dringlicher stellt sich damit die Frage nach einer effizienten Mittelverteilung. Was als effizient angesehen wird, wird unterschiedlich bewertet. Das Heidelberger Rektorat etwa stellt Leute zur Gestaltung von Newslettern und Sommerbällen ein. Während frei werdende Professuren in den Naturwissenschaften, wie es sein sollte, so schnell wie möglich wiederbesetzt werden, zieht sich die Besetzung von Stellen in den Geistes- und Sozialwissenschaften gerne so lange hin bis die Stelle durch die Einführung von Zulassungsbeschränkungen rechnerisch nicht mehr nötig ist. Die Folgen sind verheerend: vakante Professuren, fehlende Prüfer, überfüllte Hörsäle und Seminare! Flankiert wird das ganze von vollmundigen Bekenntnissen zur Volluniversität und zur Stärkung der kleinen Fächer.

Da die Institute unter massivem Druck stehen, sehen die Fachschaften der Neuphilologischen Fakultät der Uni Heidelberg keine andere Möglichkeit als jetzt gegen diesen Ausverkauf der Geisteswissenschaften durch das Rektorat aktiv zu werden. Sie informieren über die Situation an den Seminaren und rufen alle Betroffenen zu konkretem Handeln auf. Betroffen sind alle, die diese Kürzungen so nicht hinnehmen wollen - unabhängig davon, was sie studieren oder unterrichten!

Seid dabei! Am Donnerstag, 16.11.06, um 14.00 auf dem Uniplatz. Bringt Topfdeckel und Trillerpfeifen mit!

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Der Götze Markt

Das Märchen vom freien und gleichen Wettbewerb (14.11.2006)

Es gab einmal eine Zeit, in der sich die Menschen sehr von Gott abgewandt hatten. Gott schien das gelassen hinzunehmen. Doch der Teufel freute sich überschwänglich. Endlich konnte er Gott so richtig vor Augen führen, was für ein elendes, verlogenes Pack die Menschen doch waren, dass sie Gott nicht würdig waren, sondern ausschließlich er, der Teufel, ihr gerechter Herr.

Der Teufel hatte lange darauf hingearbeitet, die Menschen dazu zu bekommen sich aus freien Stücken zu ihm zu bekennen. Dabei hatten sie jedoch nie merken dürfen, dass er, der Teufel hinter allem steckte. Im Rückblick betrachtet, war es einfacher gewesen als befürchtet.

Zuerst unterstützte er Gott bei dessen Bemühungen, den Menschen mehr Verstand einzuhauchen. "Je pense donc je suis." Descart's Ausspruch beschäftigte die Menschen noch über 300 Jahre später. Sollten sie doch denken, diese Menschlein. Solange sie nur das dachten, was er, der Teufel, für richtig hielt. Das hieß, er musste es irgedwie bewerkstelligen, dass die Menschen aufhörten so sehr an der Gottesliebe und der Nächstenliebe festzuhalten. "Gott ist tot." Was für ein Satz! Nietzsche sei Dank! Der Kommunismus schlug diesbezüglich in dieselbe Kerbe, indem er "Religion ist Opium für's Volk!" als Leitlinie für sich beanspruchte. -- Herrlich! Wunderbar! Erstes Problem gelöst.

Nun kam das mit der Nächstenliebe dran. Das war schon etwas heikler. Schließlich glaubten die Menschen ja bekanntlich eher das, was sie sahen. Wie sollte er also die Menschen dazu bekommen, für den Nächsten, den sie sahen, kein Mitleid zu empfinden, nachdem Gott ihnen Generationen um Generationen lang die Notwendigkeit von Zusammenhalt und Solidarität eingetrichtert hatte? Irgendwann kam ihm der zündende Gedanke: sie sollten denken, sie hätten keine andere Wahl, als trotz des Gebots der Nächstenliebe sich erst einmal um sich selbst zu kümmern. Dabei sollten sie auch noch denken, sie hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ja, so sollte es sein.

Da kam dem Teufel die ganze Wissenschaftsorientierung gerade recht. Er unterstützte diese Entwicklung und freute sich diebisch über die Erfindung der Wirtschaftswissenschaften. Denn diese Wissenschaft war nichts anderes als eine Erfindung. Sie konnte nicht überprüft werden, wie die anderen Naturwissenschaften. Es gab ja schließlich keine ökonomischen Gesetze wie in der Physik das Gesetz der Schwerkraft. Die Schwerkraft konnte man immer und überall egal in wessen Beisein und egal womit feststellen. Die Richtigkeit ökonomischer Gesetze war in bestem Sinne relativ. Hihi. Wie recht Einstein doch mit seiner Formel hatte. Angeblich hätte er ja mit Gott gesprochen. Aber das nur am Rande.

Der Teufel freute sich über seine Verschlagenheit. Die Menschen hatten sich so sehr an ihren Verstand geklammert, dass sie gar nicht mehr merkten, dass dieser sie geradewegs zu ihm trieb. Die Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs -- des freien Wettbewerbs. Und der Teufel setzte noch einen drauf und ließ sagen, des freien und gleichen Wettbewerbs. Zugegebenermaßen hatte Gott bei diesen Gedanken auch seine Finger im Spiel. Das Geniale daran war, dass die positiven Effekte des Wettbewerbs nur unter Ausschluss aller denkbaren Störfaktoren zum Tragen kamen. "Ceteribus paribus"- das war die Zauberformel für geistige Umnachtung auf hohem Niveau. Darüberhinaus sollten den im Wettbewerb konkurrierenden Teilnehmern laut theoretischem Gerüst allen zur gleichen Zeit die selben Informationen zur Verfügung stehen, damit die fundamentalen ökonomischen Freiheitsrechte überhaupt ihre Wirkung entfalten konnten. Was für eine wunderbare Notwendigkeit. So banal, dass die Menschen sie im Alltag ganz einfach übergingen.

Stattdessen berechneten zahlreiche Volkswirtschaftler, Finanzexperten und Statistiker in ihren empirischen Studien seitenlang, Tage um Tage, Wochen um Wochen, Jahre und Jahrzehnte, bald Jahrhunderte lang, an welchen Stellschrauben die Chefvolkswirte zu drehen hätten, um dem nächsten genialen Spuk gerecht zu werden: dem stetigen Wirtschaftswachstum. Ach war das schön. Der Teufel konnte sich an diesen Entwicklungen überhaupt nicht satt sehen. Die gebildesten Köpfe weltweit stritten hoch dekoriert und fein angezogen selbst in internationalen Gremien ersten Ranges und vergaßen darüber ganz, dass die Ungleichheit zwar die weltliche Existenz bestimmte, doch durch Liebe hätte überwunden werden können.

Jesus hatte recht behalten: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme."

Gott blieb geduldig. Und solange die Menschen nicht über die Umsetzbarkeit der Nächstenliebe auch in Form von Verteilungspolitik nachdachten, konnte er, der Teufel, ungestört weiter Seelen fangen. Gott sei Dank für dessen Geduld, hihi.

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