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UNiMUT aktuell: Warum sollte ich demonstrieren gehen? - Warum sollte ich politisch aktiv sein?

Kommentar für politisch Unschlüssige

Warum sollte ich demonstrieren gehen? - Warum sollte ich politisch aktiv sein? (12.11.2006)

In Gesprächen mit Kommilitonen und Dozenten tauchen immer wieder folgende Fragen auf:

Warum sollte man sich mit dem Thema Bildungspolitik auseinandersetzen? Warum sollte man sich als Studierender der Geistes- und Sozialwissenschaften für politische Arbeit einsetzten und bei der Gremienarbeit mitmachen? Warum auf die Straße gehen und protestieren, bei Demos mitmachen, die doch eh nichts bringen?

Darauf gibt eine denkbar einfache Antwort: Wenn es nicht die Menschen tun, die unter bestimmten Zuständen leiden, dann nutzen diejenigen, die von denselben Zuständen profitieren, das Stillschweigen aus, verfolgen ihre Ziele und werfen den Schweigenden auch noch vor, dass diese nicht zu gegebener Zeit ihre Beteiligungsmöglichkeiten ausgenutzt haben.

Dies ist keine neue Erkenntnis. Sondern wird schon so alt sein, wie das Bewusstsein um gruppendynamische Zusammenhänge überhaupt. Leider ist dieser Mechanismus aktuell am Montag, den 6.11.06 in Heidelberg anlässlich des Spiegel-Forums sehr gut zu beobachten gewesen.

Sowohl der Heidelberger Rektor, Peter Hommelhof, als auch sein Professorenkollege, der Soziologe, Michael Hartmann, stellten fest, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften im Rahmen der Exzellenzinitiative unterrepräsentiert waren. Für Herrn ist dies eindeutig eine Folge der Art und Weise, wie dieser ganze Exzellenzwettbewerb organisiert worden ist. So habe die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Geisteswissenschaftler hinten "runter fallen" lassen wollen. Was sicherlich damit zusammenhinge, dass sich die in ihr organisierten Forschungsgruppen ausschließlich aus Naturwissenschaftlern zusammensetzten.

Die Umstrukturierung der Hochschullandschaft in Ausbildungs- und Forschungsuniversitäten begründete Herr Hommelhof mit dem politischen Willen. Er und Wolfgang Gawrisch, Mitglied der Gemeinsamen Kommission Exzellenzinitiative und des Bewilligungsausschusses, behaupteten zwar, die Sozial- und Geisteswissenschaftler erhören zu wollen, doch es können berechtigt Zweifel an diesen Lippenbekenntnissen angemeldet werden. Dazu später mehr.

Bleiben wir noch beim Auswahlverfahren: Viele der Universitäten, die weniger gut finanziell ausgestatten sind, haben nach Aussagen von Herrn Hartmann -- Herr Gawrisch bestätigte dies -- ihre Anträge beim Exzellenzwettbewerb wieder zurückgezogen, wenn sie denn überhaupt welche eingereicht hatten.

Dennoch empfindet Herr Gawrisch das Ergebnis, das ganz offensichtlich die technisch und medizinisch orientierten Universitäten bevorzugt, als objektiv und zwar allein aufgrund der Tatsache, dass auf Grundlage schriftlich eingereichter Texte entschieden worden sei.

Mit Verlaub, dieses Kriterium ist arg zweifelhaft. Das hört sich so an, als wenn der Hase im Wettbewerb mit dem Igel gewonnen hätte und dann so täte, als sei er der objektiv Schlauere gewesen. In diesem Wettbewerb haben sich nicht die Universitäten mit dem größten intellektuellen Potenzial durchgesetzt, sondern diejenigen, welche die besten Ausgangsbedingungen hatten, d.h. das meiste Geld. Um auf den Vergleich zurückzukommen: die längeren Beine.

Die relevanten Fragen an die Gesellschaft als Ganzes lautet: Wollen wir eine weitere Begünstigung einer eh schon begünstigten sozialen Schicht oder wollen wir gezielt intellektuelles Potenzial unabhängig von persönlichen, materiellen Voraussetzungen fördern? Wenn wir intellektuelles Potenzial fördern wollten: Wollen wir uns wirklich auf die Naturwissenschaften, insb. Medizin beschränken oder wollen wir auch den Sozial- und Geisteswissenschaften ihren Raum lassen?

Nach Gawrisch und Hommelhof hätte sich die Gesellschaft entschieden zugunsten der Naturwissenschaften und der Medizin. Diese Bereiche zu fördern sei der politische Auftrag. Ändere sich dieser, würden sie sich anders verhalten. Das war die implizite Botschaft.

Ich komme zurück auf die oben angeschnittene Frage: Haben diese beiden Herrn eigentlich ein Interesse daran? Das ist nur zu beantworten, wenn hinterfragt wird, welche Funktionen sie wahrnehmen und welche Aufgaben sie deswegen zu erfüllen haben.

Fangen wir mit Rektor Hommelhof an. Seine vornehmste Aufgabe nach Außen besteht in der Repräsentation der Universität Heidelberg. Gleichzeitig hat er nach Innen die der Universität Heidelberg zugewiesenen Gelder so effizient wie möglich zu verwalten und die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der Universität zu stellen. Sein Ziel ist also in erster Linie, den Schein aufrechtzuerhalten, dass es sich bei der Heidelberger Universität um eine hervorragende Universität handelt und sie daher mehr finanzielle Förderung verdient. Dieses Ziel verbindet ihn mit nahezu allen anderen Universitätsrektoren und Funktionsträgern in Leitungsfunktionen, wie z.B. Instituts- und Seminarleitern. Diese Doppelfunktion als Marketingchef nach Außen und Finanzcontroller nach Innen begünstigt ökonomisch geprägtes Verhalten nach dem Motto: Lasst uns in die Fächer investieren, die am meisten Prestige ermöglichen und für die es viele Fördermittel gibt. Ein kluger Kopf prägte für ein derartiges Verhalten den Begriff der "Imageethik". Meines Erachtens wird sie strukturell gefördert, d.h. letztendlich durch die Gesellschaft als Ganzes mitgetragen und aufrechterhalten. Den Anforderungen dieser Imageethik entsprechen derzeit lediglich naturwissenschaftliche Fächer wie z.B. Molekulare Biotechnologie und Medizin. Alles andere fällt tatsächlich einfach hinten über.

Herr Gawrischs Funktionen sind vielfältig und man fragt sich, wem gegenüber er wirklich loyal ist. So hat er nicht nur die beiden oben genannten Funktionen inne, sondern ist hauptberuflich "Chief Technology Officer" (CTO) und Vorsitzender des Sustainability Council der Henkel KGaA. Zu Deutsch: Leiter der zentralen Abteilung Forschung und Technologie und Vorsitzender des Henkel Nachhaltigkeitsrates. Darüber hinaus sitzt er in zwei Beiräten: 1. bei Phenion und 2. bei SusTech (Sustainable Technologiees). Beide Unternehmen entstanden aus "Joint Ventures" mit Universitäten: Bei Phenion war die Uni Frankfurt maßgeblich involviert, inzwischen ist Phenion eine 100% Tochter von Henkel. SusTech bleibt ein Public Privat Partnership mit der TU Darmstadt, obgleich Henkel die Anteilsmehrheit hat. Seine Motivation dürfte darin begründet sein, soviel Geld wie möglich von der Bildungsförderung für die von der Henkel mit initiierten Projekte abzuschöpfen. Dass Gawrisch die Sozial- und Geisteswissenschaftler als Stiefkinder behandelt, dürfte auf der Hand liegen. Ebenso wie die Tatsache, dass er sicherlich kein Interesse daran haben dürfte, dass sich die Geistes- und Sozialwissenschaftler stärker in den Wettbewerb einbringen und sich um zu verteilende Staatsgelder im Bereich der Bundespolitik bemühen.

Beider Aussagen, man wolle die Sozial- und Geisteswissenschaftler erhören, wirken daher wirklich sehr halbherzig. Damit sie und alle anderen Rektoren, Politiker und Wirtschaftsvertreter dennoch gezwungen sind, die Geistes- und Sozialwissenschaflter ernst zu nehmen und deren Anliegen auch materiell zu berücksichtigen, ist ein koordiniertes Aufbegehren seitens der Sozial- und Geisteswissenschaftler unabdingbar.

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Erzeugt am 12.11.2006

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