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UNiMUT aktuell: Druck von unten

Gestufte Studiengänge sorgen für Konvergenz zwischen BA und Uni

Druck von unten (27.10.2004)

Das Konzept Berufsakademie (BA) entstand vor ziemlich genau 30 Jahren als eine Erfindung des Nazirichters Filbinger -- damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, mittlerweile treibende Kraft des rechtsextremen Studienzentrums Weikersheim, das auch seine Homepage hostet -- sowie der Firmen Daimler-Benz, Bosch und SEL1. Vermutlich ist es kein Zufall, dass diese Unternehmen -- deren Management damals noch zu guten Stücken aus der schlechten alten Zeit stammte -- durchweg besonders willig mit den Nazis bei der Beschäftigung von ZwangsarbeiterInnen kooperierten.

Wie dem auch sei, Gedanke der Berufsakademie jedenfalls ist, dass Menschen von Firmen dorthin geschickt werden, um in minimaler Zeit, dafür aber potenziell auch ohne Abitur, zu einem Hochschulabschluss zu gelangen. In diesem Sinn passte die BA durchaus in ihre Zeit, denn die Öffnung der Hochschulen war in den siebziger Jahren ein großes Thema. Mit der Idee, den Zugang zu "richtigen" Hochschulen auch Menschen ohne Abitur zu öffnen -- sowas gibt es noch in etlichen (Ex-) "A-Ländern" -- konnten sich Herren vom Schlage eines Filbinger aber natürlich nicht anfreunden.

Entsprechend standen und stehen BAen für komprimierte Turbostudiengänge mit möglichst direktem Return on Investment (ins Humankapital), garantiert ohne wissenschaftliche oder sonstige nichtökonomische Ansprüche. Wie so etwas aussieht, kann mensch etwa bei der (relativ neuen) Berufsakademie Mosbach bewundern, die für uns jedenfalls insoweit interessant ist, als sie von unserem Studentenwerk die "modernen Dienstleistungen" erhält, die dessen Geschäftsführer Gutenkunst für die Aufgabe seiner Einrichtung hält. In Fächern wie "Electronic Business", Holztechnik oder "Warenwirtschaft und Logistik" (letzteres bemerkenswerterweise von Lidl mitfinanziert) dürfen die Studierenden drei Jahre lang bis zum Diplom studieren, und zwar "straff" immer abwechselnd jeweils drei Monate an der BA und in der Firma; damit die Studis ja nicht auf dumme (i.e., eigene) Gedanken kommen, sieht der Stundenplan auch in den BA-Phasen Vorlesungen von 8 bis 18 Uhr vor.

Dass diese Sorte Ausbildung zu etwas anderem führt als das, was die Unis bisher lieferten, ist klar. Schlimmer noch, die Gremien der BAen sind "paritätisch besetzt" (nämlich mit VertreterInnen von BA und Industrie), und dies ist für Hochschulen, die etwas auf sich halten, inakzeptabel, denn das Verfassungsgericht hat im inzwischen klassischen "Mitbestimmungsurteil" von 1973 festgelegt, dass in deren Gremien ProfessorInnen immer über die absolute Mehrheit verfügen müssen, von wegen Lehrfreiheit2. Folglich müssen die Diplom-Betriebs- und Kneipenwirte Marke BA eben ein "(BA)" im Titel führen, quasi als Kainsmal der Drittklassigkeit (in dieser Denke ist die zweite Klasse durch das Kainsmal "(FH)" markiert). Der kleine Zusatz bewirkt unter anderem, dass sie außerhalb von Baden-Württemberg an Unis oder in der öffentlichen Verwaltung mit ihrem Diplom nicht viel anfangen können.

In dieser Situation kommen jetzt die gestuften Studiengänge alias Bachelor und Master. Wenigstens der Bachelor erinnert in vielem an das 1972er-Programm von Filbinger und Konsorten: ein straffes, schnelles Studium mit dem Ziel hoher Rendite aufs Humankapital, mit möglichst viel Gängelung und möglichst wenig Zeit zum Nachdenken. Konsequenterweise hat das MWK dann auch die Anerkennung der BA-Abschlüsse auf die Tagesordnung der KMK gesetzt, die als Versammlung der jeweils zuständigen Länderminister in Fragen der Anerkennung von Abschlüssen die entscheidende Autorität ist.

Am 15.10.2004 kam Baden-Württemberg mit dem Ansinnen, BA-Bachelors mit denen von Uni und FH gleichzustellen, durch, wohl nicht zuletzt, weil auch andere Minister den Charme des BA-Modells in Zeiten finster-reaktionärer Schul- und Hochschulpolitik für sich entdeckt haben. An und für sich ist so etwas natürlich nicht kritikabel, denn die Trennung der verschiedenen Hochschulformen (Baden-Württemberg leistet sich hier ja als letztes Bundesland noch PHen als Extrakategorie) ist ein ebensogroßer Unfug wie das inzwischen wohl breit als disfunktional erkannte (mindestens) dreigliedrige Schulsystem, das -- klar! -- auch die KMK zu verantworten hat.

In diesem Fall allerdings geht es gewiss nicht um einen Schritt zur Gesamthochschule. Es spiegelt sich auch mitnichten eine positive Entwicklung der BAen, etwa hin zu mehr Anspruch oder gar selbstbestimmteren Lernen. Der Beschluss ist logische Konsequenz des Bildungsabbaus an den Unis und ihres unter wohltönenden Titeln wie "Bologna-Prozess" betriebenen Umbaus hin zu den 30 Jahre alten Schleifanstalten nach Südwestmodell.

Nachtrag (11.11.2004): Dass auch die modernen UnterstützerInnen der Berufsakademie es mit der Menschenwürde nicht so genau nehmen, zeigte sich auch bei der Verleihung der 2004er Big Brother Awards. Der in der Kategorie Arbeitswelt ging nämlich an den erwähnten Lehrstuhlsponsor Lidl und Schwarz. Es lohnt sich, die Laudatio zu goutieren, um ein Gefühl zu bekommen, was in der Postmoderne so als modern durchgeht.

Nachtrag (24.11.2004): Das Verhältnis der jetzigen Landesregierung zu den heutigen Umtrieben des Herrn Filbinger lässt sich übrigens aus einer Stellungnahme des Innenministeriums zu einer Anfrage des MdL Braun und anderer ersehen.

Nachtrag (16.12.2004): Und weil wir schon bei Filbinger sind: Die Seiten des AK Filbinger an der Uni Freiburg sind auch ganz lesenswert, wenn mensch sich für Filbinger und das, was in Baden-Württemberg so als konservativ durchgeht, interessiert.


1 Die Standard Elektrik Lorenz war zu dieser Zeit bereits eine Tochter des US-Unternehmens ITT, das gerade in der Konzeptionsphase der BA (1973) durch seine Verwicklung in den blutigen Putsch von Agusto Pinochet in Chile ins Gerede gekommen war. Das Unternehmen durchlitt regelmäßig schwere Krisen, die spätestens Mitte der achtziger Jahre endemisch wurden und zur Übernahme durch Alcatel führten. Alcatel setzt die Abwicklung des Unternehmens seither fort. Wer wollte darüber wohl traurig sein? (zurück)

2 Damals ging es natürlich nicht gegen Frühstücksdirektoren, die zur Abwechslung mal bestimmen wollen, was irgendwo gelehrt wird, sondern gegen die Drittelparität, die damals Profen, Mittelbau und Studis gleiche Anteile an den Gremiensitzen garantieren sollte. (zurück)

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Erzeugt am 27.10.2004

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