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UNiMUT aktuell: "Je ne suis pas marxiste- Ich bin kein Marxist"

Nachbetrachtung zum Vortrag von Dr. Michael Heinrich im Rahmen der Vortragsreihe des Heidelberger Forums für kritische Theorie und Wissenschaft

"Je ne suis pas marxiste- Ich bin kein Marxist" (27.05.2006)

Um die 50 interessierte ZuhörerInnen (hauptsächlich Studierende) fanden sich am vergangenen Freitag (19.5.2006) in Hörsaal 9 ein, um den Vortrag von Michael Heinrich über eine Einführung in Karl Marx´ Kritik der politischen Ökonomie zu hören und anschließend mit dem Referenten engagiert zu diskutieren. Sie bekamen einen anspruchsvollen Vortrag auf theoretisch hohem Niveau geboten, der mit dem Vorurteil, Marx sei unwissenschaftlich bzw. mit zwei einfachen Halbsätzen zu widerlegen, wohl erst einmal gründlich aufgeräumt haben dürfte.

Gleich zu Beginn wandte sich Michael Heinrich gegen ein Verständnis der Marxschen Schriften als umfassender abgeschlossener Weltanschauung, die Marx selbst auch nie geteilt hat, was in seinem berühmten Ausspruch: "je ne suis pas marxiste- ich bin kein Marxist" zum Ausdruck kommt.

Auch der Einwand, dass Marx´ Kapitalismuskritik auf das 19. Jahrhundert begrenzt und damit veraltet sei, geht ins Leere, so Michael Heinrich. Ziel von Marx sei es erklärtermaßen nicht gewesen, bloße historische Erscheinungen des Kapitalismus zu kritisieren, sondern vielmehr eine Analyse des Kapitalismus schlechthin zu liefern, die Triebkräfte hinter der kapitalistischen Entwicklung aufzudecken, unabhängig von ihrem jeweiligen historischen Stand.

Marx muss somit zutreffend sein, so die notwendige Schlussfolgerung, sofern wir nach wie vor Kapitalismus haben und sofern seine Analyse der "kapitalistischen Bewegungsgesetze" richtig ist.

Auch sei es falsch, Marx als bloßen Ökonomen zu sehen, wie es im traditionellen Marxismus oft der Fall war. Dieser habe vielmehr gerade eine "Kritik der politischen Ökonomie" versucht, mithin die traditionelle ökonomische Wissenschaft in ihren Ansätzen überwinden wollen.

Im folgenden ging Michael Heinrich auf einige Grundbegriffe des Kapitals ein wie Wert, abstrakte Arbeit und Warenfetischismus, wobei es ZuhörerInnen ohne Vorkenntnisse sicher nicht leicht fiel zu folgen, was jedoch am Gegenstand der Darstellung selbst lag.

Gerade Marx´ berühmter Satz vom Fetischcharakter der Waren werde oft missverstanden, so Michael Heinrich. Gemeint ist nämlich nicht, die Menschen sollten nicht so viele Waren kaufen bzw. ihr Herz nicht zu sehr an Markenartikel hängen. Er beschreibt vielmehr den "objektiven Schein kapitalistischer Verhältnisse", die Verselbständigung der gesellschaftlichen (Warentausch)-Beziehungen der Menschen ihnen selbst gegenüber in der Ware, dem sachlichen Gegenstand.

In der dem Vortrag folgenden Diskussion wurden einige Grundfragen aufgeworfen, die sich aus Marx´ Gesamtwerk nach wie vor stellen, wie bsp. der, welche Alternativen zum jetzigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem es gebe. Michael Heinrich zufolge lässt sich aus den Schriften Marx´ weder ein Plädoyer für den Staatssozialismus ablesen, noch für eine, in linken Debatten immer wieder kursierende "geldfreie" Tauschökonomie, die wieder in ein kapitalistisches System umschlagen müsse. Er stellte dem vielmehr das Marx´sche Bild einer "Assoziation der freien Produzenten" gegenüber.

Dass es überhaupt eine Alternative zum jetzigen Gesellschaftszustand geben muss, sei offenkundig, so Michael Heinrich, da ein System, das Profitmaximierung in den Mittelpunkt stelle und menschliche Bedürfnisse lediglich als "Nebenprodukt" mitbefriedige, äußerst destruktiv sei. Eine Ansicht, die man angesichts der Tatsache, dass heute nach wie vor auf der einen Seite eine ungeheure Anhäufung von Reichtum stattfindet während auf der anderen Seite Millionen Menschen an Hunger leiden, nur unterstreichen kann.

Der Vortrag am vergangenen Freitag machte zum einen deutlich, dass es eine nicht geringe Mühe bedeutet, sich mit der Marx´schen Gedankenwelt näher zu befassen, doch auch, dass es sich auf jeden Fall lohnt, dies zu tun, da Marx uns nach wie vor geeignete Instrumente liefern kann zu verstehen, warum der gegenwärtige Zustand der Welt so ist wie er ist.

P.S.: Wem das jetzt zu schwer verständlich weil zu "insidermäßig" war, dem sei Michael Heinrichs Buch: "Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung" (erschienen im Schmetterling Verlag) empfohlen!

Sonja Mangold


Weitere Informationen und Hinweise zu aktuellen Veranstaltungen auf der Website des Heidelberger Forum für kritische Theorie und Wissenschaft.

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Druckfassung

Erzeugt am 27.05.2006

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