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UNiMUT aktuell: Offener Brief zur Rasterfahndung

Offener Brief zur Rasterfahndung (31.01.2002)

Folgenden Brief veröffentlichen wir gern -- an ihren Taten mögt ihr die übrigen Medien, an die das Schreiben ging (ruprecht, RNZ, Unispiegel) erkennen...

Offener Brief an den Rektor der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Sehr geehrter Herr Hommelhoff,

ich will Ihnen meine Geschichte erzählen. Sie handelt von den Erlebnissen und Eindrücken eines ausländischen Studenten an der Universität Heidelberg im Lichte der Erschütterungen vom 11.9. Insbesondere handelt sie von der Art der Kriminalitätsbekämpfung, die zuletzt in der Bundesrepublik gegen die RAF eingesetzt wurde.

Als ich zum ersten Mal von der Rasterfahndung erfuhr, habe ich mich auf die Suche nach Informationen gemacht. Ich hatte gute Gründe dafür, anzunehmen, ich sei von ihr betroffen, und wollte insofern genau wissen, wie die Rechtslage bzgl. der Rasterfahndung aussieht. Wer genau ist betroffen? Welche Daten wurden von der Universität ausgeliefert? An welche Behörden? Wie lange werden sie gespeichert? Wer hat Zugang dazu? Ist die Universität dazu verpflichtet, mir auf Anfrage mitzuteilen, ob meine Daten ausgeliefert worden sind? Nach einem enttäuschenden Gespräch mit Herrn Schwarz, dem Pressesprecher der Universität, bin ich in die Rechtsberatung des Studentenwerks gegangen. Die Juristin dieser Rechtsberatung ist beim Stichwort "Rasterfahndung" völlig erschrocken und konnte nichts - in der Tat absolut nichts (!) - zur Rechtslage sagen. Sie hat sich nicht mal angeboten, sich diesbezüglich zu informieren. So viel zur Rechtsberatung des Studentenwerks. Nach dieser zweiten Enttäuschung habe ich mich an das Akademische Auslandsamt gewendet, das mich zu einem Juristen in der Zentralen Universitätsverwaltung, Herrn Treiber, geschickt hat. Er wusste zunächst auch nicht Bescheid, hat sich aber darum bemüht, mir zu helfen. Ich sollte eine Woche später wieder zu ihm kommen, hieß es. Wenigstens eine Hoffnung. Inzwischen hatte ich von Teilen der Studentenvertretung erfahren, dass eine persönliche Anfrage beim Rektorat, ob meine Daten ausgeliefert worden seien, möglich sei. Insofern habe ich nach meinem Termin bei Herrn Treiber beim Rektorat angerufen, das mich - sehr dilettantisch und verwirrt - mehrere Male an falsche Personen in der Universitätsverwaltung geschickt hat. Beim dritten Anruf wurde ich an die zuständige Person in der Zentralen Universitätsverwaltung, Herrn Brachmann, weitergeleitet. Ich habe mit Herrn Brachmann einen Termin abgemacht; er wolle mir die Information über die Auslieferung meiner Daten geben. Als ich bei ihm erschien, wurde ich doppelt enttäuscht. Erstens meinte er, dass er mir diese Information doch nicht geben könne. Zweitens ist beim Termin mit Herrn Brachmann überraschenderweise Herr Treiber aufgetaucht, quasi als juristischer Beistand zu Herrn Brachmann, der augenscheinlich über die Rechtslage nicht besonders gut informiert war. Ich musste feststellen, dass sie alle im selben Boot saßen und dass Herr Treiber alles andere als eine unabhängige Quelle sein konnte.

Nun, nach diesen bitteren Begegnungen an meiner eigenen Universität habe ich erkannt, dass ich eine Rechtsberatung woanders suchen muss. Immerhin kann ja jede(r) Bürger(in) in der Bundesrepublik, so wurde mir gesagt, beim Amtsgericht eine kostenlose Rechtsberatung in Anspruch nehmen, wenn er/sie nachweisen kann, dass er/sie ein nicht zu hohes Einkommen hat. Ich machte mich also auf den Weg zum Heidelberger Amtsgericht im Glauben, endlich würde ich über die Rechtslage bzgl. der Rasterfahndung aufgeklärt werden. Im Amtsgericht gibt es einen einzigen Sachbearbeiter, der für Anträge dieser Art zuständig ist. Ich habe ihm meine Lage erklärt, woraufhin er lakonisch meinte, es bestünde "gar kein konkreter Anlass" für die Ausstellung eines Scheins für eine kostenlose Rechtsberatung in meinem Fall. Sein Vorgesetzter, mit dem ich dann Kontakt aufnahm, sagte mir, ich müsse eine formelle Dienstleistungsbeschwerde schreiben, die er dann bearbeiten würde.

An diesem Punkt habe ich aufgegeben, Herr Hommelhoff.

Dass sich die Bundesregierung für diese Art des institutionalisierten Rassismus, für diesen tatsächlich rassistischen Generalverdacht entschieden hat, der das grundlegende Prinzip der Rechtsstaatlichkeit umstülpt und die Beweislast auf die/den Angeklagte(n) verschiebt, kann ich Ihnen natürlich nicht vorwerfen. Aber: Die Haltung der Universität Heidelberg, die angeblich stolz ist auf den hohen Anteil ihrer ausländischen Studierenden, hat sich als völlig unkritisch und konform erwiesen. Sie hat die rassistische Stigmatisierung der Regierung ohne Einspruch mitgemacht. Sie hat einen Teil ihrer eigenen Studenten grundlos verdächtigt und sie somit diskriminiert, ausgegrenzt, stigmatisiert. (Woher nehmen Sie sich das Recht, Herr Hommelhoff, mich des Terrorismus zu verdächtigen?) Es gab nicht einmal den Versuch, sich gegen diesen Eingriff zu wehren. Es gab nicht einmal eine einzige symbolische Handlung, von der ersichtlich wäre, dass diese Fahndung der Universität unangenehm sei (siehe z.B. die Reaktionen der Universitäten Bremen sowie der Humboldt-Universität und der Freien Universität in Berlin).

Ich werfe der Universität Heidelberg vor, mitverantwortlich für das Schüren von rassistischen Ressentiments sowie für ein unangenehmes Klima an der Universität zu sein. Wenn Sie sich nun für diese affirmative Haltung entschieden haben, sollten Sie wenigstens ein geringes Maß an Transparenz erlauben. Die Erlebnisse, die ich machen musste, sind wahrscheinlich nur ein Beispiel für alles andere als Transparenz, für die unglaubliche Haltung der Universität gegenüber ihren eigenen ausländischen Studierenden. Ich ging optimistisch an die Sache heran und wurde zunächst enttäuscht. Dann nochmal enttäuscht, und nochmal. Und wieder. Am Ende war ich verzweifelt: Jede Möglichkeit, die ich nur ausschöpfen konnte, hat sich als ein Nichts erwiesen. Inzwischen, Herr Hommelhoff, bin ich nicht nur enttäuscht und verzweifelt, sondern richtig wütend. Ich fühle Wut. Wut auf den Rassismus der Bundesregierung. Wut auf das Sicherheitsbedürfnis und die Angst der deutschen Gesellschaft vor dem konstruierten Feindbild der "Schläfer". Wut auf das bewusst konforme und insofern rassistische Verhalten der Universität, an der ich studiere. Wut auf die Scheinheiligkeit der Universität, dessen Sprüche über Internationalität und Offenheit sich inzwischen als bloße Leerformeln entpuppen. Wut auf die Studenten, die die Rasterfahndung begrüßen. Letzten Endes, Herr Hommelhoff, Wut auf Sie.

Ein Ort der vermeintlich ständigen Offenheit, des freien und lebendigen Geistes hat sich erwiesen als ein Ort der Ausgrenzung, des kritiklosen, insofern unfreien und toten Geistes.

Mit freundlichen Grüßen,

(Name der Redaktion bekannt)

Diese Ausführungen bedürfen wohl keines Kommentars. Die Redaktion, die von Rektor und Amtsgericht nichts anderes erwartet hätte, kann sich allerdings die Bemerkung nicht verkneifen, dass der Totalausfall der Studiwerks-Rechtsberatung ein besonders trauriges Armutszeugnis ist, zumal bei einem Thema, das so viele der Sozialbeitrags-ZahlerInnen angeht.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 07.02.2002, 14.03.2002, 12.07.2002, 15.01.2003, 23.05.2006


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Erzeugt am 31.01.2002

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